Aktuell stellen Forschungen über die Struktur ländlicher Siedlungen im Hinterland der römischen Provinz Lusitania (heute Portugal und Teile Ost-Spaniens) im Gegensatz zur küstennahen Besiedlung während der römischen Epoche (2./1. Jh. v.Chr. bis 5. Jh. n.Chr.) eine Forschungslücke dar. Da hier neben der agrarischen Nutzung (Öl-, Wein-, Getreideanbau; Viehzucht) wohl auch bergbauliche Tätigkeiten eine Rolle spielen, soll im Rahmen des Projektes die Struktur der ländlichen Besiedlung im Hinterland der südlichen Provinz Lusitania und deren wirtschaftliche Grundlagen sowie die damit verbundenen Infrastrukturen anhand einer Fallstudie des Gebietes zwischen den heutigen Städten Silves und Loulé genauer untersucht werden. Diese Gegend ist bisher niemals Gegenstand systematischer archäologischer Untersuchungen gewesen. Neben einem Survey im Bereich von wichtigen Verkehrswegen (antike Straßen, Rio Aráde) und Arealen, die klimatisch, pedologisch und hydrographisch für die Landwirtschaft besonders geeignet scheinen, werden Ausgrabungen an drei Orten (Corte und Barradas, beide im Bezirk Silves sowie Espargal im Bezirk Loulé) erfolgen, um die wirtschaftlichen Grundlagen und daraus resultierende, strukturelle Besonderheiten auch in ihren architektonischen Implikationen (Villen, Siedlungsagglomerationen) zu erfassen. In welchem Maße sich der mögliche Strukturwandel im Zuge der Romanisierung auf die Vegetation bzw. Landschaft im Umfeld der Siedlungen auswirkten, soll ebenfalls analysiert werden.
-
Corte, Luftbild der Ausgrabungsfläche 2011Foto: LS Klassische Archäologie
-
Espargal, Luftbild der Ausgrabungsfläche 2011Foto: LS Klassische Archäologie
-
Grabungsteam 2011Foto: LS Klassische Archäologie
-
Münze (Sesterz) des Kaisers Trebonianus Gallus aus dem Jahr 252 n. Chr. aus CorteFoto: Klassische Archäologie
-
Omega-Fibel aus CorteFoto: Klassische Archäologie
Der Fundplatz erstreckt sich über ein Areal von etwa 15.000m2 entlang eines flach ansteigenden und nach Süden hin orientierten Hügels. Das Gelände ist bis vor einigen Jahren landwirtschaftlich genutzt worden. Im Zuge einer geomagnetischen Prospektion konnten deutliche Anomalien festgestellt werden: Langesteckte, rechtwinklige Strukturen in Form eines U lassen den Schluss zu, dass es sich bei dem Befund um eine dreiflügelige römische Villa handelt. Zur Überprüfung der durch die Geomagnetik erkannten Strukturen werden seit 2009 jährlich Ausgrabungen durch den Lehrstuhl für Klassische Archäologie der Friedrich-Schiller-Universität durchgeführt. Die Befunde des inzwischen ca. Die Villa war nach Aussage der Kleinfunde (Fensterglas, Mosaiktesserae, Wandputz mit polychromer Bemalung) luxuriös ausgestattet, wobei die pars urbana noch nicht genau lokalisiert wurde. Die Außenwände der Villa, die nach Ausweis von Keramik im Fundamentbereich in der 1. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. errichtet wurden, sind aus massiven Steinblöcken gebaut. Ein Wasserkanal belegt die systematische Versorgung mit größeren Mengen Frischwasser; möglicherweise bestand in der Villa eine Thermenanlage, worauf u. a. auch die Existenz einer eisernen Heftkrampe zur Befestigung von Tonplatten an Wänden und Decken zur Herstellung einer Wandisolierung sowie spezielle Ziegel zum Bau von Fußbodenheizungen (Hypokausten) hinweisen. Welchen Zweck der seit 2009 dokumentierte Gebäudetrakt hatte, konnte noch nicht geklärt werden. Eine große Menge von Tierknochen (die Mehrzahl vermutlich von Schaf/Ziege) deutet möglicherweise auf eine Nutzung als Stall hin. Eine archäozoologische Analyse aller Tierknochen wird durch das Labor Ralf-Jürgen Prilloff/Wolmirstedt durchgeführt. Ersten Einschätzungen zufolge wurde vor Ort die Zucht von Schafen und Ziegen betrieben. Möglicherweise hat man in Corte auch Textilien hergestellt, wie zahlreiche Web- und Spinnutensilien nahelegen. Die ältesten Funde stammen aus dem Neolithikum (4. Jt. v. Chr), während drei attische Scherben der Zeit zwischen 450 und 400 v.Chr. eine eisenzeitliche Besiedlung des Fundplatzes belegen, deren Bevölkerung bereits weitreichende Handelskontakte unterhielt. Die Mehrzahl der Funde datiert jedoch in die römische Kaiserzeit (2.–4. Jh. n. Chr.). Die späteste Phase des Siedlungsplatzes ist durch nordafrikanische Terra Sigillata dokumentiert und datiert an den Beginn des 5. Jhs. n.Chr. Einzelne Funde von Schlacke deuten auf Metallverarbeitung hin, die auch eine Verbindung der Villa mit einer Ausbeutung der nahen Kupferminen von Picalto und Cumeada nahelegt. Einzigartig ist der Fund einer hebräischen Grabinschrift, die nach vorläufiger Einschätzung wohl mittelalterlich ist und eine spätere Nutzung des Fundplatzes als Friedhof nahelegt. Während die Besiedlung des Küstenstreifens mit Villen relativ gut bekannt ist, ist die Villa von Corte die erste substantiell fassbare römische Villa im Algarve-Hinterland, dem sog. "Barrocal" und daher von besonderer Bedeutung für die Erforschung der römischen Besiedlung im Hinterland der lusitanischen Südküste. Ihre Architektur, ihre Nutzungsphasen sowie ihre wirtschaftlichen Grundlagen sollen im Rahmen des Projektes geklärt werden.
Ein weiterer Fundplatz liegt am Südhang eines flachen Hügels oberhalb des kleinen Ortes Espargal (Bezirk Loulé). Bei der seit 2010 ausgegrabenen Anlage handelt es sich um den Teil einer Produktionsanlage für die Herstellung von Wein oder Olivenöl. Das Zentrum der Anlage war ein rechteckiger Innenhofbereich. Östlich und westlich des Innenhofes waren Produktionsanlagen angegliedert, jeweils mit einem Auffangbecken für Wein oder Olivenöl, welche beide in einer späteren Bauphase nach der Zerstörung durch Einsetzen von Mauern überbaut worden sind, sowie deren Pressanlagen. Im Bereich dieser beiden Produktionseinheiten sind viele Fragmente vor Vorratsgefäßen (dolia) gefunden worden, die auf eine ursprüngliche Einbindung der dolia in den Produktionszyklus der beiden Produktionseinheiten schließen lassen. Um welche Erzeugnisse es sich handelte, konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden; es kommen jedoch nur Olivenöl und Wein in Frage. Die Gegend ist auch heute sehr fruchtbar und eignet sich hervorragend für die Wein- und Olivenkultivierung, welche heute noch im Nave dos Cordeiros betrieben wird. Den bislang ergrabenen Strukturen zufolge handelt es sich bei der Anlage von Espargal lediglich um ein Produktionsgebäude mit zentralem Innenhof, da zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Wohnbereich lokalisiert werden konnte. Die nächsten Grabungskampagnen werden zeigen, ob es sich um eine Kompaktanlage (Wohn- Nutz-Gebäude unter einem Dach) handelt oder ob sich der Wohnbereich in einem übergeordneten Gebäude weiter abseits der Produktionsanlage befand. Die Errichtung der Anlage kann aufgrund der frühesten Keramikfunde in das späte 2./frühe 3. Jh. n. Chr. angesetzt werden. Die hauptsächlichen Nutzungsphasen dürften jedoch spätantik (4./5. Jh. n.Chr.) sein, während die Anlage vermutlich im frühen Mittelalter aufgegeben wurde.
Das Gelände liegt im Umland der Ortschaft S. Bartolomeu de Messines auf einem leicht hügeligen Grund zwischen höheren Bergen im Norden und Westen. Im Zentrum der Fläche erhebt sich ein auffälliger Hügel, der mit Oberflächenfunden (Keramik, Dachziegel, opus signinum) aus römischer Zeit übersät ist. Nach einer systematischen Begehung des Geländes wurde im gesamten Areal eine geomagnetische Prospektion durchgeführt, die zunächst vielversprechend erschienen. Gezielte Grabungen erbrachten jedoch bis jetzt keine Ergebnisse. Möglicherweise wurden die Befunde durch starke Eingriffe in der jüngeren Vergangenheit größtenteils zerstört.