…und so führte uns unsere Reise auch nach Orșova in Rumänien. Dort, am Ufer der Donau schauten wir auf den Fluss, wo sich einst eine Insel namens Ada Kaleh (türk.:„befestigte Insel“) aus dem Wasser erhob. Erstmals erwähnt wurde sie schon in der Antike. In verschiedenen Urkunden tauchte sie unter der Bezeichnung „Caroline“, „Porizza“ oder „Ada-I-Kebir“ auf. Diese Insel lag am Eisernen Tor an der Grenze zwischen Rumänien und Serbien und bildete bis 1912 eine Exklave des Osmanischen Reiches.

 Die Donau mit der Insel Ada Kaleh (© http___www.bpb.de_geschichte_zeitgeschichte_geschichte-im-fluss_158951_ein-versunkenes-paradies_p=1)

Mit dem Bau des Djerdap-Stausees und des Kraftwerks 1971 fiel die Insel den Fluten der Donau zum Opfer. Die Insel, auf der zuletzt 600 mehrheitlich türkische Bewohner lebten, war etwa 1,7 km lang und 0,5 km breit. Über die Jahrhunderte erlebte die Insel viele Herrscher. Der römische Kaiser Trajan setzte hier mit seinen Legionen über den Fluss, in dem er seine Boote so miteinander verband, dass sie eine Brücke bildeten. In den kommenden Jahrhunderten überquerten u.a. auch Mongolen, Hunnen, Österreicher und Türken an dieser Stelle die Donau. Besonders die Österreicher und die Türken lieferten sich einen fünfhundert Jahre andauernden Kampf um die Kontrolle über die Insel.  Die Österreicher errichten auf der Insel in der Donau eine Festung. Ihr Bau begann 1689 und sollte erst 1717 fertiggestellt werden. Am Ufer entstand das Fort Elisabeth, welches ebenfalls als Militärgrenze zwischen dem Habsburger und dem Osmanischen Reich diente. Knapp 20 Jahre später eroberten die Osmanen Ada Kaleh und wandelten das Gebäude der österreichischen Militärkommandantur in eine Moschee um. 1790 besetzten die Österreicher erneut die Insel und bauten die Moschee in ein Franziskanerkloster um. Auf dem Berliner Kongress 1878 verringerte sich die Fläche des Osmanischen Reiches beträchtlich und nur Ada Kaleh blieb dem Sultan im südosteuropäischen Raum noch erhalten. Eine muslimische Insel im „christlichen Reich“. Gegen Ende des 19 Jahrhunderts verlor die Insel ihre Bedeutung für die Großmächte. Sie war fortan eine Mischung aus Nationen und Religionen. 1918 entschieden sich die Insulaner für einen Anschluss an Rumänien, wodurch sie ihre Privilegien wie Steuer- und Zollfreiheit und die Nichteinberufung zum Wehrdienst verloren. Doch die Insel hatte nicht nur eine reiche Geschichte. Aufgrund ihres milden Klimas war es möglich zahlreiche südländische Pflanzen und Früchte wie Oliven, Tabak oder auch Feigen anzubauen. Die Zigarrenfabrik der Insel stellte beispielsweise Zigarren her, die, so sagt man, mit kubanischen konkurrieren konnten. Die selbst hergestellte Rosenmarmelade oder der Lokum lockten jedes Jahr zehntausende Touristen auf das kleine Eiland in der Donau.  Besonders für die österreich-ungarische Bevölkerung wurde die Insel vor dem ersten Weltkrieg ein bequemes Ziel „im Orient“, denn sie mussten nun keine beschwerlichen Reisen mehr bis Konstantinopel vornehmen, sondern besuchten einfach die kleine Insel in der Donau um einen Hauch Osmanisches Reich zu erleben. Auch nach dem zweiten Weltkrieg erlebte Ada Kaleh noch einmal eine Blütezeit. Jedoch war der Goldenen Zeit der Insel mit der Bekanntmachung 1963 über den Bau des Staudamms ein Ende verkündet worden.

Der ursprüngliche Plan sah vor die Bevölkerung und die größten Teile der Gebäude samt der kompletten Festung auf die Insel Simian, die 18 km stromabwärts liegt, umzusiedeln. Doch nur die Teile der Festung finden sich dort heute wieder. Die meisten Insulaner gingen nicht mit. Dies lag zum einen möglicherweise daran, dass ihnen freigestellt wurde, ob sie nach Rumänien (Dobrudscha), in die Türkei oder nach Jugoslawien ziehen. Zum anderen konnten sich viele sicher nicht vorstellen, dass Simian Ada Kaleh ersetzen könnte. Mit der teilweisen Umsiedlung der Festung wurde auch der alte Friedhof Ada Kalehs auf Simian umgebettet. Jedoch konnten die Insulaner über viele Jahre ihre Verstorbenen auf dem neuen Friedhof auf Simian nicht besuchen, denn die Donau war bis 1989 eine Grenze zwischen dem Westen und dem kommunistischen Osten. Die vielen Jahre, die vergingen bis die ersten Besucher die umgesiedelte Festung samt Friedhof besuchen konnten, brachten überwucherte Gräber und Einschusslöcher in den Grabsteinen zum Vorschein.            

 Djerdap-Stausee nach Flutung (© http___www.bpb.de_geschichte_zeitgeschichte_geschichte-im-fluss_158951_ein-versunkenes-paradies_p=1)

Die Flutung der Insel bedeutete für die meisten Bewohner mehr als den Verlust ihrer Heimat. Für viele ist es eine Art Phantomschmerz, der für die wenigen noch Lebenden bis heute anhält.  Ein ehemaliger Bewohner der Insel berichtete wie am Tag der Sprengung die Zypressen und Häuser fielen und wie mit der ansteigenden Flut tausende Vogelnester aus den Baumkronen gespült wurden und auf der Donau hinab trieben. Die Trauer der Vertriebenen um ihre verlorene Heimat hält an. So berichtet Cafer Islamoglu: "Alle anderen Menschen in dieser Welt haben eine Heimat. Auch wenn sie weit weg sind, können sie ihre Heimat besuchen, wann immer sie wollen. Wir haben diese Chance nicht."[1] Weitere ehemaliger Bewohner berichten: „Die Insel hatte einen besonderen Geruch, er war an jeder Seite anders. Vom Fluss kam der fast Meer ähnliche Geruch des Wassers, um die Häuser herum verbreitete sich der Geruch der Früchte oder der Marmelade, die zubereitet wurde. Ging man auf den Basar, traf einen der Geruch des Tabaks. Im Frühjahr ergrünte die ganze Insel, und am Abend, sobald die Dämmerung fiel, begann ein richtiges Orchester quakender Fröschen. Alle haben eine Heimat, jeder kann seinen Herkunftsort besuchen, jeder kann irgendwohin zurück. Ich kann den Ort, an dem ich aufgewachsen bin, nicht meinem Mann und meinen Kindern zeigen", erzählt eine Frau. Ein anderer trauert: "Für die Kinder war es besonders paradiesisch. Dort haben wir gelernt, mit anderen zu teilen. Die Feiertage waren besonders, in der Türkei haben wir eine solche Atmosphäre, solche Feiern nicht erlebt. Wir hatten einen Strand, aber wir konnten nicht weit vom Ufer fortschwimmen, wegen der Wirbel und Strudel. Die Leute lebten lang, sie aßen das, was sie selbst angebaut hatten, an der frischen Luft, es gab keine Automobile, keinen Stress. Ich danke Gott, dass ich meine Kindheit und Jugend in dieser paradiesischen Ecke der Welt erlebt habe. Wenn es irgendwo einen solchen Ort gäbe, ich würde alles aufgeben und dort leben." Und noch ein anderer: "Ich habe die vier Ecken des Hauses geküsst, die Tür offen gelassen und bin mit Tränen in den Augen gegangen. Nachdem sie endgültig überschwemmt war, konnten die Leute noch lange Zeit Vögel sehen wie sie über der Donau flogen, dort, wo einmal die Ada Kaleh gewesen war."[2]