Historisches...
Bei einem Aufenthalt in der serbischen Hauptstadt Belgrad ist der Besuch des Kalemegdan, der Festungsanlage am Zusammenfluss der Save und Donau, schon fast obligatorisch. Für Sprechende des Türkischen ist die Etymologie des Wortes schnell erklärt. Es setzt sich zusammen aus dem türkischen Wort für Festung oder Burg (tr. Kale) und Platz (tr. Meydan), wobei letzteres wiederum aus dem Arabischen ins Türkische eingegangen ist. Kalemegdan ist also vereinfacht gesagt der Festungsplatz und nur eines von etlichen türkischen Toponymen in Belgrad und in der Region unserer Exkursion. Wenn man sich von Belgrad aus die Donau flussabwärts bewegt, gelangt man ans Eiserne Tor und passiert somit auch die engen Taldurchbrüche, die im Serbischen als „Казан/ Kazan“ (türkisch für „Kessel“) bezeichnet werden, ehe man auf der Höhe von Orșova in Rumänien die untergegangene und bis 1971 türkisch besiedelte Insel Adakale zumindest für einen Moment aus der Donau emporgestiegen geglaubt haben will.
Doch abseits der Toponyme und der zahlreichen Turzismen im Serbischen und in geringerer Zahl auch im Rumänischen, die auf die bis zu 500 Jahre wehrende osmanische Fremdherrschaft zurückzuführen sind, scheint zumindest seit dem Bau des Staudamms Djerdap I und dem Untergang der Flussinsel Adakale der türkische Einfluss in der Region erloschen zu sein. Dabei ist es bei der Betrachtung der osmanischen Expansion auf dem Balkan und der türkischen Besiedlungsgeschichte in der Region wichtig – so die hier vorangestellte These - eine separate Betrachtung der Timočka Krajina einerseits, und des Banats, des serbischen wie rumänischen, andererseits vorzunehmen. Denn große Teile der heutigen Timočka Krajina wurden bereits ab 1396, nach der Schlacht bei Nikopolis, als Teil des Sandzaks Vidin in das Osmanische Reich eingegliedert und blieben, wie auch die übrigen Landesteile des heutigen Serbien mit Ausnahme der Vojvodina bis zum Berliner Kongress 1878 zumindest nominell als ein Teil dessen bestehen. Dahingegen war das Banat bis zur sukzessiven Eroberung im 16. Jahrhundert durch das Osmanische Reich ein Teil Ungarns und wechselte bis zur endgültigen Rückeroberung durch die Habsburger im Jahre 1718 und der Vertreibung der muslimischen Bevölkerung mehrmals den Besitz zwischen den beiden Reichen (vgl. Wolf 2004: 17ff). Trotz räumlicher Nähe weisen die beiden Regionen somit eine sehr unterschiedliche Dauer bezüglich des Verbleibs im Osmanischen Reich auf.
Dennoch ist es auf dem ersten Blick erstaunlich, dass die Zahl Personen, die sich als ethnisch türkisch identifizieren, im heutigen Rumänien um ein vielfaches höher ist als in Serbien. Denn während bei der letzten Volkszählung 2011 in Serbien lediglich 647 Personen angaben ethnische Türken zu sein[1] (Republiki Zavod za Statisku 2011: o.S.), ist die Zahl der in Rumänien lebenden Türken mit knapp 30.000 Personen deutlich höher (vgl. Kahl 2016: 19).
Im Falle Serbiens war es jedoch nicht möglich den amtlichen Statistiken zu entnehmen, ob und wie viele dieser in unserem Exkursionsgebiet leben. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Personen sich hauptsächlich in den urbanen Zentren und im Sandzak Novi Pazar befinden, da dieser erst 1913 durch Serbien erobert wurde und bis heute noch über eine muslimische Bevölkerungsmehrheit verfügt, die aber überwiegend durch Bosniaken konstituiert wird. Gründe für die geringe Zahl dürften aber auch einerseits die Abwanderungen und Vertreibungen der türkischen, wie auch muslimischen Bevölkerung in die verblieben europäischen wie auch anatolischen Reichsteile sein, die mit der partiellen Autonomie Serbiens vom Osmanischen Reich 1815 ihren Anfang nahmen und sich durch den serbisch-türkischen Krieg 1877/ 1878 noch verschärften (vgl. Jagodić 1998: 6f). Andererseits bleibt aber auch festzuhalten, dass das Gebiet des heutigen Serbien nie eine großflächige türkische Kolonisation wie eben die Dobrudscha, weite Teile Bulgariens und Nordgriechenlands erfuhr, so dass türkische Bevölkerungsmehrheiten hauptsächlich in den urbanen Zentren des Landes konzentriert waren (vgl. Vuletić 2012: 7).
Im rumänischen Teil unserer Exkursionsgebietes wiederum ist den amtlichen Statistiken zu entnehmen, dass sich bei der letzten Volkszählung 38 Personen im Kreis Mehedinți, als türkisch identifizierten (vgl. Institutul National de Statistica 2012: 11). Dennoch befindet sich die übergroße Mehrheit der türkischen Bevölkerung in Rumänien außerhalb unseres Exkursionsgebietes, nämlich in der Dobrudscha. Diese stand, anders als die Fürstentümer der Walachei und Moldau, bis 1878 unter direkter osmanischer Verwaltung und verfügte noch bis ins 20. Jahrhundert über eine beachtliche muslimische Bevölkerungszahl, die hauptsächlich durch Türken und Tataren konstituiert wurde, was ihr deshalb auch die Bezeichnung Tara Turceasca einbrachte (Kahl 2005: 94).
... und Persönliches
Nun sitze ich hier und stehe vor dem gleichen Problem, mit dem wahrscheinlich jeder schon mal konfrontiert war, der über ethnische Gruppen was schreiben wollte: Wie macht man das, wenn die Eindrücke die man von einer Ethnie gewinnt nur auf wenige Personen und noch dazu zeitlich und lokal so begrenzt sind? Ich weiche dieser unangenehmen Frage erst mal aus und schildere meine Anfangsüberlegungen, die man eben vor einer jeden Reise hat.
Eine Woche vor unserer Exkursion war ich für einen Kurztrip in Riga und nahm dort an einer Stadtführung teil. Wir legten dabei eine kurze Pause ein, um einen Kaffee zu uns zu nehmen und ich denke ich spreche hier jedem Raucher aus der Seele, dass ein Kaffee ohne Zigarette nur halb so viel Spaß macht und da in dem Café, welches wir aufsuchten auch im Außenbereich das Rauchen untersagt war, war ich gezwungen einen Cafe-To-Go zu bestellen und mir einen Ort außerhalb des Café-Geländes aufzusuchen. Einige Sekunden später gesellte sich jemand aus der Touristengruppe zu mir, ebenfalls Raucherin und wie es bei Rauchenden so üblich ist, hatte man gleich was zu reden. „Horrible country for smokers“, war das erste was sie sagte. Dem konnte ich natürlich nur zustimmen und es entwickelte sich ein eben ein kleiner Plausch mit einer – wie ich dann im Laufe des Gesprächs erfuhr - serbischen Medizinabsolventin, die in Schweden lebte und mich gewissermaßen für verrückt erklärte, als ich ihr sagte, dass ich kommende Woche eine Exkursion nach Ostserbien anstehen habe. Beste Vorzeichen also? Да, und noch dazu war ich weder des Serbischen, noch des Rumänischen mächtig. Aber gut, Minderheiten, Balkan dies das, klang alles spannend, irgendwie vertraut und dies war ja letzten Endes auch meine Motivation mich für das Seminar einzuschreiben.
Neben fehlenden Sprachkenntnissen waren Serbien, wie Rumänien für mich vor Reisebeginn terrae incognitae. Zu Rumänien und damit auch zu den in Serbien lebenden Vlachen glaubte ich zu Beginn aber eher einen Draht aufbauen zu können. Klingt vielleicht komisch, aber ich habe 6 Jahre Latein und ein Semester Italienisch gelernt und hatte dadurch das Gefühl (oder eher die Erwartung) Rumänisch zumindest einigermaßen verstehen zu können. Die Realität sah dann doch anders aus. Zwar konnte ich Rumänisch, oder linguistisch korrekter Dakorumänisch, gelesen einigermaßen verstehen oder zumindest einige Bruchteile aus dem Lateinischen und/ oder Italienischen ableiten, doch hatte ich bei unseren Feldforschungsinterviews in der Timčka Krajina schon Probleme zwischen Vlachisch und Serbisch zu unterscheiden. Vlachisch hörend verstehen? Fehlanzeige! Lediglich einige Turzismen, die ich gesprochen oder gelesen einfing, konnte ich verstehen und war teilweise doch überrascht wie tiefgehend der Einfluss der Türkischen vor Ort doch war.
Doch abseits all der Linguistik muss ich hier zum Ausdruck, wie fasziniert ich von der Region als solche war und das schließt Menschen, Landschaft, Essen, Musik, Geschichte – quasi alles ein, was ich in der Exkursionswoche wahrnehmen durfte. Denn in einem Zeitalter der zunehmenden Urbanisierung und Heterogenität der Gesellschaft, werden der ländliche Raum und insbesondere so periphere Gegenden, wie eben unser Exkursionsgebiet, oft totgesagt. Ländlicher Raum – zumindest hierzulande – wird doch oft mit Eintönigkeit und Konservatismus gleichgesetzt. Auch wenn ich über letzteres keine Aussage treffen kann und auch wenn mir der Balkan durch meine eigene Herkunft doch nicht so fremd ist, ist man doch immer wieder erstaunt, was für eine ethnische Vielfalt sich einem punktuell und trotz aller nationalstaatlicher Homogenisierungspolitik noch bietet und dies eben auch in teils sehr ländlichen Räumen und dass trotz nach wie vor anhaltender Probleme im Grunde doch noch eine relativ harmonische interethnische Koexistenz besteht.
Summa Summarum will ich festhalten, dass ich trotz aller sprachlichen Hindernisse, u.a. durch die Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen vor Ort, seien es Vlachen, Roma oder Serben, aber auch durch unsere wunderbare Exkursionsgruppe nicht wirklich das Gefühl hatte, in einer für mich fremden Umgebung zu sein. Vielleicht gibt es ihn ja doch, diesen Balkan-Spirit - und ich rede nicht von dem lokalen Pflaumenschnaps Sliwowitz (serb. Šlivovica)!