Studienabschlüsse: Slawistik, Südslawistik
Derzeitige Stellung: Projektmanagement im Bereich Text und Konzept in einer Designagentur

SOE Alumni Arnold Nasrin

Vom Studienfach zum Sehnsuchtsort – Bulgaristik in Jena


Wie ich zur Slawistik/Bulgaristik kam

Ich habe 2005 in Heidelberg ein Slawistikstudium begonnen, Magister mit zwei Nebenfächern. Ohne Vorkenntnisse. Mit einer positiven Auslandserfahrung in Spanien und dem Wunsch, ähnliches in einem anderen Land zu wiederholen. Ich habe ein Slawistikstudium begonnen, obwohl das im Bekanntenkreis auf viel Unverständnis stieß. Nicht aus Idealismus. Nicht aus Überzeugung. Auch nicht aus Trotz. Es gab schon einige Exoten in der Familie. Aus Neugier und weil man mir die Freiheit ließ. Im Hauptfach musste man zwei slawische Sprachen aus unterschiedlichen Subgruppen (Ost-, West- bzw. Südslawisch) wählen. Ich wählte Russisch. Warum weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich in dem Glauben, dass – wenn überhaupt – nur die größte Slawine eine Perspektive bietet. Dazu belegte ich Bulgarisch. Zufall.   


Slawistik in Heidelberg

Im ersten Semester hatte ich zwölf Semesterwochenstunden Russisch. Dazu vier Bulgarisch. Ich kam durcheinander. Mit den Buchstaben und mit meiner Hoffnung, das richtige Studienfach gewählt zu haben. Im Russischunterricht saßen zu 90% Studenten mit slawischer Muttersprache oder zumindest Vorkenntnissen in Russisch. Die übrigen 10% wurden von Woche zu Woche weniger. Meine Motivation auch. Drei Wochen Russland. Im März. Herzliche Menschen halfen uns beim Bettenmachen im Schlafwagon, teilten ihren Wodka mit uns. Schwanensee. Einmal umrundeten wir Lenins Leichnam. Keine Sprache wird so schön gesungen. Strafzettel wegen Alkopop in der U-Bahn. Ich war motiviert, das Studium fortzusetzen.

Im Bulgarischunterricht waren wir etwa fünf Studierende. Ich machte die Hausaufgaben. Die vier Russinnen errieten die Lösungen – mal mehr, mal weniger richtig. Ab dem dritten Semester waren die Russinnen weg. Dafür mussten die Bulgarinnen teilnehmen. Drei Studierende aus Sofia konnten alle Aufgaben richtig lösen. Die Dozentin und ich konnten erklären, warum die Antworten richtig waren.

In der Einführung in die bulgarische Literaturwissenschaft waren wir auch nur eine kleine Gruppe. Eine Studentin aus Russland wurde schwanger und kam nicht mehr. Als ich ein Referat halten musste, lud ich meine Mutter und meine Freundin dazu sein, weil wir so wenige waren. Es gab Gingkotee. „Das ist gut fürs Gehirn“, sagte die Bulgarischdozentin. Ich glaube, es hat gewirkt.

Dann fünf Wochen Bulgarien. Wieder im März. Diese Mal kein Zufall. Semesterferien. Zwei Wochen Rundreise. Drei Wochen Sprachkurs. Der Sprachkurs war schlecht. Mein Bulgarisch schlecht, aber die Leute störten sich nicht daran. Freuten sich sogar über meine Bemühungen. Und dann die Berge...

Im Hauptfach war Altkirchenslawisch verpflichtend. Ich habe verstanden, dass Bulgarisch anders ist als die übrigen Slawinen. Wo sind die Fälle hingekommen? Wozu braucht man neun Zeiten? Ist ja witzig mit diesem Artikel, der hinten am ersten Glied der Nominalphrase klebt. Und was genau macht der Renarrativ? Wie dem auch sei, ich wollte Bulgaristin werden. Es war tatsächlich eine linguistische Entscheidung. Und natürlich die Berge...


Südslawistik in Jena

2008. In Heidelberg wurde Bulgarisch nur mit einem Lehrauftrag abgedeckt. Ich wollte mehr. Wien, Berlin, Leipzig, Jena. Alternativen waren rar. Ich war nicht bereit, den Magister mit zwei Nebenfächern aufzugeben. Ein paar Mails, ein paar Telefonate. Alternativen gleich null. Jena oder Jena.

Bulgarisch konnte im Rahmen der Südslawistik intensiv studiert werden. Ich musste die Fachrichtung wechseln. Kein Russisch mehr. Zwei südslawische Sprachen. Ich lernte, was BKMS ist. Lernen tat ich es nie so richtig. Außerdem bezeichne ich es lieber als Südwestslawisch. In Jena lag der Fokus allerdings stärker auf der gesprochenen Sprache. Neben Literatur- und Sprachwissenschaft spielte die Kulturwissenschaft eine entscheidende Rolle. Durch die Gründung des Fachs Südosteuropastudien (SOE) erstreckten sich Betrachtungen oft auf große Teile der Balkanhalbinsel und damit auch auf nicht-slawischsprachige Regionen. Wer eine solide sprach- und/oder literaturwissenschaftliche Grundausbildung mitbrachte, profitierte von den Jenaer Schwerpunkten durch eine umfassende Erweiterung seiner Kenntnisse.

Auffällig in Jena war das große und in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzende Angebot an bzw. auch die Unterstützung bei Praktika im slawischsprachigen Ausland, Exkursionen auf den Balkan, Sprachkursen vor Ort, Forschungsreisen etc. Hinzu kam ein umfangreiches Zusatzangebot: Gastvorträge, Kulturabende, Einladungen zu balkanischen Tänzen, gelebter südosteuropäischer Lifestyle.

In meinem konkreten Fall darf ich sagen, dass ich auch bei meiner Magister- und Doktorarbeit große Unterstützung von verschiedenen Seiten erfuhr. Das Graduiertenkolleg 1412 „Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa“ bot hervorragende Promotionsbedingungen. Da ich in meiner Dissertation ein interdisziplinäres Thema behandelte, kam mir zugute, dass am Kolleg ebenso wie an den Südosteuropastudien Professor*en/innen und Lehrtätige verschiedener Fachrichtungen mitwirkten.


Jobchancen

Es ist kein Geheimnis, dass ein geisteswissenschaftliches Studium kein Jobmotor ist. Auf der Suche nach einem attraktiven Arbeitsplatz bedarf es u. U. mehr Geduld und Flexibilität. Ein Einstieg als Praktikant oder Trainee ist Usus. Auf den meisten Stellen ist es notwendig, spätestens dann unter Beweis zu stellen, dass man mehr als Gedichtinterpretation kann. Eine Tätigkeit neben dem Studium – ehrenamtlich, nebenberuflich, weiterbildend – ist sicher von Vorteil. Jobs, in denen Bulgarischkenntnisse zur Anwendung kommen, sind rar. Wer das möchte, sollte gezielt darauf hinarbeiten, etwa durch die Kombination mit Wirtschaft, Tourismus, Übersetzung oder dem Ziel, an der Uni zu bleiben. Wer nur irgendwie ein Studium abschließen möchte, kann definitiv leichtere Wege wählen. Wer Bulgarisch studiert öffnet jedoch die Tür zu einer wunderbaren Welt voller persönlicher Erfahrungen, einzigartigen Momenten, Freundschaften und dem Geruch von gegrillter Paprika.

Nach meiner Promotion fand ich Arbeit im Bereich Text, Konzept und Projektmanagement in einer Designagentur in München. Bulgarien trage ich im Herzen. Und natürlich die Berge...