Unser Weg führte uns auf rumänischer Seite der Donau zur Roma-Vertreterin Iovanca Gașpar, um einen Blick in das Leben der Roma in Rumänien und Europa zu werfen. Ein Tag, der interessante und Horizont öffnende Einblicke in die Welt der Roma und der Diskussion um sie abseits von Schreibtischdisputen über political correctness bot und uns die Komplexität und die Problematiken bei der Erfassung und Einordnung der Gruppe der Roma aufzeigte.

Die Roma (sig. Rom, dtsch.: „Mann, Mensch“) wanderten bis spätestens 1300 in Südosteuropa ein. Von dort verbreiteten sie sich zunächst über Europa, heute Leben Roma über die ganze Welt verteilt. Sie stammen nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aus dem Nordwesten Indiens. Da die Sprache der Roma, Romanes, keine schriftliche Tradition hat und die Roma demzufolge keine eigene Geschichtsschreibung haben, wurden wissenschaftliche Erkenntnisse über ihre Herkunft und ihren Reiseweg nach Europa erst sehr spät in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewonnen (Sundhaussen u. Clewig 2016: 787ff). Dennoch sind viele Aspekte ihrer Migrationsgeschichte noch ungeklärt, etwa die Beweggründe der Migration Richtung Europa, aber auch die Anzahl der Wandernden und die Art der Fortbewegung. Die meisten Hinweise bietet die Sprache der Roma, da anhand des Erbwortschatzes Schlüsse auf die durchwandernden Gebiete gezogen werden können und ein ungefährer zeitlicher Rahmen ihrer Reise gesetzt werden kann. Auch die Geschichtsschreibung anderer Völker und Länder bietet Hinweise.

Da die Kultur und Sprache der Roma immer von der sie umgebenden Bevölkerung beeinflusst war wurde, haben sich über die Jahrhunderte sehr unterschiedliche regionale Prägungen innerhalb der Roma-Gemeinschaft entwickelt. Die Geschichte der Roma war von Diskriminierung und Ablehnung geprägt. Leider gehört schändliches Verhalten gegenüber Angehörigen der Gruppe nicht der Vergangenheit an. Durch die Bezeichnung als „Roma“, bzw. das deutsche Begriffspaar „Sinti und Roma“, die sich als politisch korrekt seit den 1980er Jahren durchgesetzt haben, wurde die alte Bezeichnung „Zigeuner“ weitgehend abgelöst (BPB 2017: o.S.). Die Meinungen über diese „neue“ Bezeichnung gehen innerhalb als auch außerhalb der Roma-Gemeinschaft stark auseinander (Fings 2016: 13).

Die Rudari/Băeși sind rumänischsprachige ethnische Roma, die als Minderheit in Serbien leben. Sie stammen ursprünglich aus Rumänien, aus dem Gebiet Oltenien südlich der Karpaten. Dort waren sie als Minenarbeiter tätig. Bis Ende des 19. Jahrhunderts in Rumänien die Sklaverei abgeschafft wurde, waren sie gezwungen unter misserablen Bedingungen unter Tage zu schuften. Aufgrund der Schwere der Arbeit, die immer weniger rentabel wurde, gingen immer mehr Rudari dazu über, als Schnitzer Kämme, Schüsseln und ähnliche Gebrauchsgegenstände aus Holz herzustellen. Die meisten Rudari verließen Rumänien nach der Abschaffung der Sklaverei, einige Gruppen flohen allerdings schon früher im 18. Jahrhundert. Wahrscheinlich im Zusammenhang mit ihren miserablen Lebensbedingungen und der allgemeinen ablehnenden Haltung gegenüber Roma legten sie die Sprache Romanes völlig ab. Rudari sprechen, neben der in ihrem Heimatland gesprochenen Sprache eine altertümliche Form des Rumänischen, der heute mit verschieden sprachlichen Elementen vermischt ist (Leschber 2008: 338ff).

Nachdem wir uns in den letzten Tagen vor allem mit Vertretern der vlachischen Minderheit getroffen und auseinandergesetzt hatten, waren wir heute mit Iovanca, einer Romni verabredet. Mit Telepathie und Glück trafen wir sie und ihren Mann Neluțu in ihrem Haus in Pojejena. Iovanca, die als Roma-Vertreterin sowohl um die Verbesserung der Situation der Roma in Rumänien als auch im Ausland besorgt und bemüht ist, gab uns in einem ersten Gespräch Informationen rund um das Leben der Roma im In - wie Ausland, während ihr Mann uns mit Bier und ihre Mutter uns mit vorzüglichen frisch gebackenen Gogoși versorgte. Interessanter Weise verneinte Iovanca die Zugehörigkeit der Rudari zur Gruppe der Roma. Diese Aussage überraschte uns, steht sie doch im Widerspruch zur wissenschaftlichen Sichtweise, welche die Rudari als eine Gruppe ethnischer Roma betrachtet.

Mit Neluțu machten wir einen kurzen Verdauungsspaziergang durchs Dorf. Wie viele Dörfer in der Region ist Pojejena ein gemischt-ethnisches Dorf mit rumänischer, serbischer und Roma-Bevölkerung. Die Gruppen leben nebeneinander in verschiedenen Teilen des Dorfes. Neben den reifen Kirschen an den Bäumen war das EU-geförderte Freibad ein besonderes Highlight unseres Spaziergangs. Von der Eisbude über die kleine Freiluftbühne bis zur Promenade mit Donaublick war wirklich an alles gedacht - bis auf Wasser in den Schwimmbecken. Laut Neluțu war am Ende der Bauarbeiten leider kein Geld für einen Wasserfilter mehr übrig... Nun freuen sich die Schlangen über den warmen Beton der ungenutzten Uferpromenade.

Zurück vom Spaziergang hatte Iovanca mächtig für uns aufgetafelt. Wir vergaßen die drückende Hitze und unsere mit Gogoși gefüllten Bäuche und genossen das wunderbare Essen, Salate, Gemüse, Fleisch und süße Kleinigkeiten.

Gemeinsam mit Neluțu fuhren wir in das Heimatdorf von Iovancas Mutter. Wir wollten ein wenig durch das Dorf spazieren und sehen, ob wir mit einigen der dort ansässigen Roma und Rudari in Kontakt kommen könnten. Doch wir kamen nicht weit. Aus einem Haus nahe des Dorfeingangs schallte ohrenbetäubend laut Musik. Ion, der uns zusammen mit Lucian am Dorfeingang empfangen hatte, war sofort Feuer und Flamme. Mit viel Elan und Ausdauer versuchte er, uns die grundlegenden Tanzschritte beizubringen. Glücklicherweise wurden wir kurz darauf von einer Romni gerettet, die uns lauthals serbisch sprechend auf einen Kaffee einlud. Wir folgten ihr in ihr Haus. Sofort wurden wir in die Sofa-Ecke geschoben, der neugierige Urenkel und sein Freund aus dem Wohnzimmer vertrieben und Wasser aufgesetzt. Sie und ihr Mann führten die Unterhaltung mit uns zweisprachig, auf serbisch und rumänisch. Das war sehr praktisch, denn so konnten wir unsere mehr oder weniger ausgeprägten Sprachkenntnisse kombinieren und der Unterhaltung gut folgen. Ihr Urenkel sprach hingegen, soweit wir feststellen konnten, nur rumänisch. Nach einer Zigarette mit Tabak aus eigenem Anbau fand uns ein etwas besorgter Neluțu, dem unser anhaltendes Verschwinden vom Tanz Kopfzerbrechen bereitet hatte. Mit dem Versprechen, beim nächsten Mal etwas länger zu bleiben, verließen wir die Frau und setzten unseren Spaziergang fort. Mit der Rudari - Bevölkerung kam es leider zu keinem sehr intensiven Auseinandersetzung, mehr als ein Grüßen am Straßenrand fand nicht statt. Die Unterhaltung mit unseren Begleitern über deren Leben und das Leben der Roma in der Region war zu interessant und angeregt.

Als am Abend der Rest der Gruppe von der Feldforschung in Svinița zurückkam, wurden wir auf sehr amüsante Art und Weise mit unseren Vorurteilen und Klischees konfrontiert. Wir trafen uns vor dem Haus mit der lauten Musik wieder. Und wieder wurde getanzt, gegen unsere Erwartung bekamen wir aber keinen Einblick in die Tanzkultur der Roma, sondern waren selber gefragt. Immer mehr Dörfler kamen, setzten sich auf die umstehenden Bänke und beobachteten uns dabei, wie wir tapfer in der warmen Abendsonne herum hampelten, aber keiner von ihnen tanzte. Ich glaube, sie amüsierten sich ganz köstlich. Also keine feurig tanzenden Roma, dafür fröhlich herum hüpfende angehende Feldforscher. Hungrig getanzt und um Erfahrungen im interkulturellen Austausch reicher verließen wir das Dorf und genossen beim Essen einen wunderbaren Sonnenuntergang über der Donau.