Auslandsberichte

Erfahrungsbericht - Staatliche Universität St. Petersburg, Historisches Institut im WS 2010/11

Cornelia Bruhn
Bachelor of Arts (Geschichte/Musikwissenschaft)

St. Petersburg faszinierte mich seit meinem zwölften Lebensjahr. Mit einundzwanzig packte
ich endlich meine Sachen und durfte die Stadt fünf Monate lang kennen lernen.
Das Studium in Russland ist durch Lehrpläne und den festen Klassenverband im Vergleich
zum deutschen Studiensystem deutlich verschulter. Als Austauschstudentin besaß ich jedoch
das Privileg, mir aus allen Veranstaltungen die für mich interessantesten herauszusuchen. Die
Studenten begegneten mir hilfsbereit, neugierig und freundlich. Nur über das "Sie" zwischen
entfernt miteinander bekannten Studenten bin ich ausdauernd gestolpert. Das Lebensgefühl in
der Stadt ist zweischneidig: auf der Straße windig und ernst, in den Familien und unter
Freunden warm und herzlich.
Hervorzuheben ist die freundliche und gut organisierte Betreuung durch die Mitarbeiter des
Büros für ausländische Studenten. Niemand wurde bei Sorgen, das Studium betreffend oder
persönlich, in der Weite Russlands stehen gelassen.
Ein kleiner Vorgeschmack: die weiten Säle des Winterpalastes, Gärten und Kanäle an lauen
Sommerabenden, zahlreiche Museen, Theater und Konzerthallen, der Newskij-Prospekt
lichtergeschmückt in der Zeit vor Neujahr, Abendrot zwischen den Häuserfluchten der
Wohnviertel und der Blick von der Veranda Peterhofs, wenn das Eis des Meeres in das Grau
des Himmels überfließt… Wer möchte fortfahren?

Erfahrungsbericht Erasmus-Aufenthalt in Siena (Italien) - WS 2008/09 und SS 2009

von Carolin Haase
Magister; Hauptfach: Mittelalterliche Geschichte

Mein Erasmus-Aufenthalt im WS 2008/09 und SS 2009 in Siena (Italien) war ein absolut
unvergessliches Erlebnis und eine ganz besondere Erfahrung, die ich nur jedem empfehlen
kann und auch selbst jederzeit gern wieder machen würde.
Ich habe in Italien meine Liebe zur italienischen Sprache entdeckt, tolle Ausflüge gemacht
und unglaublich viel gesehen. Ich habe neue Freunde gewonnen, die mir die italienische
Lebensweise nahe und beigebracht haben, und habe höchst interessante Einblicke in ein
anderes Uni-System, andere Formen des Lernens und des wissenschaftlichen Arbeitens und
eine zum Teil ganz andere Sichtweise auf bestimmte historische Vorgänge bekommen.
Dass ich in meinem Auslandsjahr Italienisch gelernt habe und täglich anwenden konnte, hat
unglaublich viel Spaß gemacht und mir auch für mein weiteres Studium geholfen. Nach
meiner Rückkehr hatte ich plötzlich auch Zugang zur italienischsprachigen
Forschungsliteratur und konnte für meine Magisterarbeit italienische Quellen bearbeiten.
Darüber hinaus bedeutet so ein Auslandsstudium natürlich auch ein großes Stück
Lebenserfahrung. Man wächst bekanntlich mit seinen Aufgaben und das Sich-zurecht-Finden
in einem neuen Land, an einer neuen Uni, mit fremder Sprache und neuen Menschen ist
gerade am Anfang durchaus nicht einfach. Mich haben diese Erfahrungen allerdings sehr
positiv geprägt.
Natürlich begegnen einem vor und während des Erasmusstudiums viele Schwierigkeiten.
Organisatorisch ist so ein Auslandsaufenthalt eine Mammutaufgabe! Das geht schon in
Deutschland los, wenn es heißt, sich um einen Erasmus-Platz zu bewerben, sich beurlauben
zu lassen, seine Wohnung unterzuvermieten oder Ähnliches. Auch steht häufig die Frage im
Raum, ob denn die im Ausland erbrachten Prüfungsleistungen in Deutschland überhaupt
anerkannt werden und ob es dann nicht eher ein verlorenes Semester / Jahr ist.
Es ist auf gar keinen Fall verlorene Zeit - allein schon aufgrund des Erfahrungsschatzes, den
man hinzugewinnt! Es ist aber richtig, dass die im Ausland erbrachten Leistungen häufig
aufgrund der unterschiedlichen Studiensysteme an der deutschen Uni nicht anerkannt werden.
In Siena gab es beispielsweise in der Regel nur mündliche Prüfungen als Abschluss einer
Lehrveranstaltung. In Deutschland kann dann aber eine solche nicht als Übung oder
Hauptseminar anerkannt werden, weil wir ja hier normalerweise eine Hausarbeit schreiben
müssen. Ich hatte jedoch einmal das Glück, dass einer der Professoren in Siena
ausnahmsweise mal eine Seminararbeit statt der sonst üblichen mündlichen Prüfung von
seinen Studenten verlangte und ich diese Leistung dann auch problemlos in Jena anerkannt
bekam. Man kann aber sicherlich auch versuchen, die italienischen Dozenten gezielt darum zu
bitten, eine Hausarbeit schreiben zu dürfen, damit man dann in Deutschland die erforderliche
Prüfungsleistung vorweisen kann.
Aber nicht nur die Vorbereitungen oder die nachträgliche Anerkennung der Scheine kann sich
mitunter als problematisch erweisen; auch vor Ort erwarten einen erfahrungsgemäß viele
Unwägbarkeiten. Eine bezahlbare Unterkunft zu finden war gar nicht so einfach, mich durch
das italienische Studienangebot zu kämpfen und überhaupt die Veranstaltungsorte zu finden
hatte ich mir, mit allein an einer deutschen Uni gemachten Studienerfahrungen, auch
irgendwie leichter vorgestellt und vieles mehr.
Ich habe aber damals kurz vor meiner Abreise von zwei sehr netten Kommilitoninnen hier in
Jena einen großartigen Tipp bekommen, der mich mein ganzes Studienjahr begleitet hat und
mir tatsächlich immer weitergeholfen hat, auch wenn ich das zunächst nicht für möglich hielt.
Immer wieder musste ich schmunzeln, wenn ich an diesen unschätzbar wertvollen Hinweis
gedacht und mich danach gerichtet habe. Diese beiden Kommilitoninnen sagten mir: "In
Italien musst du einfach hartnäckig sein. Man sagt dir dort immer zunächst, dass etwas nicht
gehe, nicht machbar sei, dass jemand anderes zuständig sei. Du musst einfach hartnäckig
immer wieder kommen, dich nicht abwimmeln lassen, dann funktioniert das am Ende
schon." Und tatsächlich! Ich hatte beispielsweise einen Wohnheimplatz beantragt, bis zu
meiner Ankunft keine Antwort bekommen und wurde dann vor Ort sofort abgewiesen mit der
Begründung, es sei kein Platz mehr frei. Ich habe den Rat aber befolgt und als ich das vierte
Mal wieder kam und nach einem Wohnheimplatz fragte, habe ich plötzlich problemlos einen
bekommen und fand mich anschließend in einem noch fast leeren Studentenwohnheim wieder,
dass sich erst allmählich mit Austauschstudenten und Italienern füllte. Diese
Hartnäckigkeitstaktik hat in der Folge immer wieder funktioniert und mich häufig aus
scheinbar ausweglosen Situationen gerettet. Ich bin für diesen Tipp unendlich dankbar und
möchte ihn daher auch an dieser Stelle allen zukünftigen Erasmusstudenten weitergeben.
Insgesamt sollte man all jene kleinen und großen Schwierigkeiten, die so ein
Auslandsaufenthalt mit sich bringt, durchaus als Herausforderung sehen, die auch Spaß
machen kann, auf die man stolz ist wenn man sie gemeistert hat und aus der man aus der
Rückschau betrachtet eine Menge gelernt hat. Es lohnt sich auf jeden Fall; egal in welches
Land es einen letztendlich verschlagen sollte!
Gerade für Geschichtsstudenten und ganz besonders für diejenigen mit dem
Studienschwerpunkt Mittelalter ist aber Italien sehr zu empfehlen. Man hat dort die einmalige
Gelegenheit seinen Studiengegenstand mal nicht nur distanziert über die Quellen zu
betrachten, sondern durchaus auch hautnah und lebendig mitzuerleben. Italienische Städte und
ganz besonders Siena sind allein schon optisch gelebtes Mittelalter: die alten Häuser und
Palazzi, in denen die Sienesen heute noch wie selbstverständlich leben, die engen Gassen,
zahllosen Kirchen und vor allem die noch zutiefst mittelalterliche Tradition des palio. Dieses
mitten in der Stadt ausgetragene Pferderennen als Wettbewerb der einzelnen Stadtviertel
gegeneinander ist Mittelalter pur. Das ganze Jahr dreht sich um dieses im Sommer
stattfindende Ereignis und wenn es dann soweit ist, fühlt man sich um Jahrhunderte in der
Zeit zurückversetzt.
Man sollte meiner Meinung nach sein Auslandsstudium durchaus ernst nehmen und dem
altbekannten Klischee des ausschließlich Party-machenden Erasmusstudenten nicht unbedingt
allzu sehr entsprechen. Beim Anblick von Uni und Bibliothek in Siena, die großartig
historisch und romantisch sind, fällt dies auch nicht sonderlich schwer. Meine Vorlesungen
fanden meist im Historischen Institut statt, einem Teil des heute noch teilweise als solches
genutzten mittelalterlichen Klosters, und die Bibliothek befand sich in einem Labyrinth aus
kleinen Räumen und Gewölbekellern in einem alten Palazzo!
Und dennoch bedeutet so ein Auslandsaufenthalt trotz aller Vorlesungen, Seminare,
Prüfungen und Bibliothekslektürestunden natürlich auch ein weitaus entspannteres Semester
oder Studienjahr mit mehr Freiheiten und Gelegenheiten zum Genießen und Entdecken. Man
lernt in Italien sein Studienfach mal von einer ganz anderen Seite kennen. Ich hatte in Siena
immer das Gefühl, die Geschichte ist hier lebendig. Sie wird nicht museal konserviert oder
durch moderne Bauten und Straßenzüge ersetzt, sondern man lebt mit ihr und in ihr, bewahrt
die Traditionen. Ich bin darüber hinaus auch viel durch die Umgebung gereist und habe neben
dem wunderschönen Siena beispielsweise auch Florenz, Volterra, San Gimignano und die
herrliche toskanische Landschaft erkundet. Dank meines langen Aufenthaltes, der
Möglichkeit mich in der Landessprache zu verständigen und durch das Erleben des
italienischen Alltags aus der Perspektive eines italienischen Studenten hatte ich einen ganz
anderen Zugang zu und Blick auf das Land und die Menschen als beispielsweise ein Tourist,
der doch immer ein Betrachter von außen bleibt.
Alles in allem kann ich ein Erasmusstudium nur jedem sehr empfehlen. Es ist eine einmalige
und unvergessliche Erfahrung, die sich auf jeden Fall lohnt; ein Erlebnis, das man so schnell
nicht vergessen wird und das mich beispielsweise noch immer intensiv begleitet.