Im Solidarność-Museum

Freiheit - eine Idee der Romantik?

Ein Essay von Sophia Menzel
Im Solidarność-Museum
Foto: Elisabeth Bergmann

Die Exkursion der Jenaer Slawist*innen nach Gdańsk im April stand unter dem Thema „Freiheit – eine Idee der Romantik?“ und widmete sich insbesondere Maria Janion, der bedeutenden polnischen Literaturwissenschaftlerin aus Danzig. Während der Exkursion führten wir Gespräche mit Studierenden, Lehrenden und Expert*innen, besuchten Museen und gingen ins Theater, um ein tieferes Verständnis der polnischen Romantik zu erlangen.

Zuerst, was ist Freiheit und wie definiert die polnische Romantik diesen Begriff?

Wo kann man besser eine Antwort zu dieser Frage finden als in der „Stadt der Freiheit“? So bezeichnet sich die Stadt Gdańsk heutzutage selbst, als Rückgriff auf ihren ehemaligen Status als Freie Stadt und auch in Bezug zu ihren, im Vergleich zum Rest des Landes, abweichenden Wahlergebnissen. In der polnischen Romantik, die sich im 19. Jahrhundert entwickelte, wurde der Begriff der Freiheit besonders thematisiert. Diese Epoche war geprägt von der Aufteilung Polens unter Preußen, Russland und Österreich, wodurch Polen als eigenständiger Staat von der Landkarte für 123 Jahre verschwand. Die polnischen Romantiker definierten Freiheit in mehrdimensionaler Weise. Erstens, die politische Freiheit. Dies bezog sich auf den Wunsch nach Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit und Souveränität Polens. Dichter und Schriftsteller wie Adam Mickiewicz und Juliusz Słowacki drückten in ihren Werken die Sehnsucht nach einem freien und unabhängigen Polen aus. Sie sahen Polen als ein „Messias unter den Völkern“, der durch sein Leid und seinen Kampf anderen Nationen ein Vorbild sein sollte. Zweitens, die individuelle Freiheit. Die polnischen Romantiker betonten auch die Bedeutung der persönlichen Freiheit. Diese Freiheit war stark mit der Idee der Selbstverwirklichung und des individuellen Ausdrucks verbunden. In der Literatur und Poesie dieser Zeit wurde die Unabhängigkeit des Individuums und die Freiheit des Geistes hochgeschätzt. Zuletzt, die kulturelle und spirituelle Freiheit. Die Romantik legte großen Wert auf die nationale Identität und das kulturelle Erbe. In der polnischen Romantik waren die Bewahrung und Wiederbelebung der polnischen Sprache, Kultur und Traditionen ein wesentlicher Aspekt des Freiheitsbegriffs. Die romantischen Werke zielten darauf ab, den polnischen Geist zu stärken und ein Gefühl der Einheit und des Stolzes zu schaffen.

Nun, da aber Polen seine Souveränität erlangt hat, die polnische Sprache weiterlebt und Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Polen herrschen, wodurch keine Eingrenzung der persönlichen Freiheitsentwicklung im Weg stehen müsse – zumindest seit der neuen Regierung im Herbst 2023, die nicht aktiv den Abbau der demokratischen Institutionen betreiben − besteht die Frage: benötigt man noch die Romantik und bedarf es noch der Strebung nach Freiheit?

Bei unserer Exkursion durften wir auch eine Art der Freiheit erleben. Die Reisefreiheit. Oder wie sie beim Schengener-Abkommen im Jahr 1995 deklariert wurde „Die Freizügigkeit“. Keiner unserer Teilnehmer musste im Voraus ein Visum beantragen und an der Grenze wurden weder der Reisepass noch der Personalausweis kontrolliert. Jedoch konnten wir bei der An- und Abreise vom Zug aus den langen Stau auf der Autobahn zwischen Polen und Deutschland beobachten. Auch der ADAC warnt bei seinen Angaben zu der aktuellen Lage an den deutschen Außengrenzen warnt: „Polen: Staugefahr durch feste Grenzkontrollen“.

An den Grenzübergängen zwischen Deutschland und Polen finden bei der Einreise nach Deutschland seit Mitte Oktober feste Grenzkontrollen statt. Das ist an mehreren Grenzübergängen im Bereich der Bundesländer Brandenburg und Sachsen der Fall. Auf der Stadtbrücke in Frankfurt (Oder) beispielsweise kontrollieren Bundespolizisten direkt an der Grenze. Staus von mehreren Kilometern Länge werden zeitweise am Grenzübergang A12 bei Frankfurt (Oder) auf polnischer Seite (A2) registriert.

Deutschlands Grenzen: Aktuelle Wartezeiten und Kontrollen 27.05.2024, 14:10 Uhr (https://www.adac.de/news/)

Das Schengen-Abkommen, das den Bürgerinnen und Bürgern der teilnehmenden Staaten das freie Reisen ohne Kontrollen an den Binnengrenzen ermöglicht, ist eine der großen Errungenschaften der europäischen Integration. Laut dem Bundesministerium des Innern ermöglicht der Schengen-Raum seinen Bürgerinnen und Bürgern "das freie Reisen ohne Kontrollen an den Binnengrenzen" (www.bmi.bund.de). Diese Freizügigkeit hat für Millionen Europäer große Freiheit geschaffen. Die aktuellen Maßnahmen an der deutsch-polnischen Grenze zeigen jedoch, dass trotz dieser Sicherheitsvorkehrungen die Grundprinzipien des Schengen-Abkommens untergraben werden. Auch wenn temporäre Kontrollen bei besonderen Herausforderungen gerechtfertigt sein mögen, stellt die derzeitige Situation eine bedenkliche Einschränkung der Freizügigkeit dar und wirft die Frage auf, ob die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig und im Einklang mit den grundlegenden Werten und Vereinbarungen der Europäischen Union stehen. In Anbetracht der diesjährigen Europawahl ist es besonders interessant sich mit dieser Beobachtung auseinanderzusetzen und sich zu fragen, ob hiermit die Reisefreiheit (oder wessen Reisefreiheit) und somit die Freiheit im Allgemeinen eingeschränkt wird.

Die Exkursion war also nicht nur lehrreich im Hinblick auf das Thema polnischer Romantik, sondern hat auch viele weitere Fragen zur heutigen Zeit und unserer Vorstellung von Freiheit aufgeworfen. Und das Allerwichtigste ist, dass unsere Teilnehmer ihre Sprachkenntnisse ausprobieren konnten und mit einer größeren Motivation, sich zu verbessern, aus Polen zurückkamen!