"Wolna Białoruś" - "Free Belarus"

Freiheit zum Festhalten

Ein Essay von Anonymus
"Wolna Białoruś" - "Free Belarus"
Foto: Student der Universität Jena

Wer das Europäische Zentrum der Solidarność in Danzig durch das ehemalige Werkstor der 
Lenin-Werft betritt, läuft an einer Bilderwand vorbei. Darauf abgebildet sind Personen aus 
einem entfernt erscheinenden Nachbarland, Protagonisten des anderen,  des weiß-rot
weißen, des freien Belarus: der inhaftierte Präsidentschaftskandidat und ehemalige Banker 
Wiktor Babariko, die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, die für ihre 
unerschrockenen weiß-rot-weißen Fahnenmärsche berühmte Geologin Nina Bahinskaja, 
der ehemalige Außenamtsfunktionär und Theaterdirektor Pawel Latuschka, die inhaftierte 
Oppositionsführerin und Flötistin Maria Kolesnikowa, der Menschenrechtsaktivist und 
Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki, die exilierte Präsidentschaftskandidatin Swetlana 
Tichanowskaja. 2021, als die Bilderwand installiert wurde, handelte sich um eine Galerie der 
Helden. 
Den ebenfalls abgebildeten, 2019 nach Polen emigrierten Blogger Roman Protassewitsch 
angelten sich die Silowiki des belarusischen Regimes 2021 aus der Luft: sie zwangen seinen 
Linienflug zur Landung in Minsk. Seither hat sich Protassewitsch jeglicher subversiver 
Aktivität entsagt, gar öffentlich erklärt, künftig ein unpolitisches Leben zu führen («Точно не планирую связать жизнь с политикой». Протасевич рассказал, чем займется после 
исключения из списка террористов, Artikel vom 14.07.2023 (https://news.zerkalo.io/life/43770.html)). Der Haft entgeht er mit Auftritten im Staatsfernsehen, wodurch er bislang ein Leben nicht in einer 
der zahlreichen, sorgsam umzäunten Strafkolonien führt, sondern in einem abgeriegelten, 
von der brutalen Liebe seines Präsidenten erdrückten Land. Unter den Führern der 
Opposition kam es derweil zu schmutzig ausgetragenen Streitereien, ihre versprengten 
Reste finden sich gegenwärtig zwischen würdevoller Depression und geschäftiger 
Bedeutungslosigkeit. Der Gewaltstaat demonstriert seine Stärke unter anderem mit einer 
anhaltenden Kampagne gegen Wegläufer, dem erbitterten Kampf gegen die Farben Rot und 
Weiß und der stillen Grausamkeit, die Inhaftierten völlig von der Außenwelt 
abzuschneiden. An der Bilderwand nagt der Zahn der Zeit, die großen und kleinen Helden 
von gestern werden getötet, gefoltert, mit Erpressung zum Schweigen gebracht oder nach 
allen Regeln der Kunst diskreditiert. 
Dem auch an polnischen Geschichtserzählungen nagenden Zahn der Zeit versucht sich der 
gerade zehnjährige rostbraune Koloss des Museumsbaus mit Licht, Glas und vollem 
Medieneinsatz zu widersetzen. Die Dauerausstellung des Zentrums arbeitet mit der ganzen 
Unerbittlichkeit der Chronologie, zulaufend auf die Erlösung der demokratischen 
Revolution. Sie beginnt mit der Macht der Machtlosen – dem Streik der Werftarbeiter 1980, 
beschreibt den Zuspruch der intellektuellen Elite, mündet im Kontrollverlust des Staates. 
Eine in fabrikneuem Zustand zu bewundernde Kopie des Papamobils Papst Johannes Paul 
des Zweiten weist den Weg in den nicht minder reinweißen nächsten Teil der Ausstellung, 
der von früher internationaler Aufmerksamkeit und kulturellem Aufschwung erzählt. Auf 
Aufbruchsstimmung folgt die dunkle Zeit des Kriegsrechts samt Polizeifahrzeug und Replika 
des 1981 von Panzern aufgebrochenen Tors der Werft, die von den Versuchen der 
Staatsgewalt, die Bewegung zu erdrücken erzählen. Den durchaus zahlreichen Zugängen, 
die die Ausstellung ihren Besucherinnen bietet, ist eines gemein: Freiheit ist 
gegenständlich, sie ist fass- und greifbar. Die rund sieben Jahre gewaltsamen Kriegsrechts 
verblassen im Lichte des fast zwingend erscheinenden Triumphs der friedlichen Revolution 
1989/90 (Peters, Florian, Solidarność Yesterday – Solidarity Today? The European Solidarity Center in Gdańsk, endeavors to combine the past with the present, Artikel vom 12.05.2025 (www.doi.org/10.25626/0041)),  überlagert ohnehin vom Triumph musealer Multimedialität. Die Freiheit des 
Museums ist eine Freiheit ohne Risiko für den Besucher, eine Freiheit zum Festhalten, zum 
Hinsetzen, zum Durchschnaufen, zum Schulterklopfen. 
Wohin das auch führen kann, lässt sich nicht nur an einer heute geradezu bedrückenden, 
von belarusischen Wirklichkeiten entrückten Bilderwand außerhalb des Museums 
beobachten, sondern auch in dessen Inneren. Auf die Runden Tische der Wende folgt in der 
Ausstellung ein vom Zerfall des Ostblocks kontextualisiertes Kapitel zur 
Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen. In der Ecke des Raumes finden sich 
zwei Exemplare der Lwiwer Erklärung, die im Mai 2023 am Rande einer im Zentrum 
veranstalteten Konferenz unterzeichnet wurde. Kern des Textes ist die erklärte Absicht, ein 
Zentrum der Demokratie und Freiheit in Lwiw zu errichten (Karaś, Dorota, Polscy i ukraińscy politycy podpisali w Gdańsku deklarację stworzenia Centrum Wolności i Demokracji we Lwowie, Artikel vom 18.05.2023). Sicher ist es ehrenvoll, auch in Zeiten eines schrecklichen, mörderischen Überlebenskampfes den Wert bürgerlicher Freiheiten und demokratischer Werte zu betonen. Aber ein solches Vorhaben irritiert im 
Kontext einer Ausstellung, die im eigenen Triumph und stellenweise auf der Suche nach 
einem großen Konsens zergeht, einen zehnjährigen Freiheitskampf ohne Bezug zur 
Gegenwart verfolgt, Dissonanzen unter die strahlend weiße Pellegrina kehrt. Verlässt man 
die Ausstellung, streift der Blick unweigerlich ein an der Wand des Foyers aufgeklebtes, dem 
Schriftzug der Solidarność nachempfundenes, gelbes Wort auf blauem Grund: Ukraina. Es 
ist ein Statement, das Solidarität ausdrücken und mahnen will. Aber wozu?