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Drei Kreuze ragen meterhoch in den grauen Himmel der Danziger Werft. Leichter Regen fällt wie Tränen hinab auf die Erde vor dem Europäischen Solidarność-Zentrum direkt nebenan. Hier, umgeben vom Knarren der Kräne und dem leichten Geruch nach salzigem Meerwasser fällt es nicht schwer sich vorzustellen, wie vor 40 Jahren Arbeiter in Blaumännern und Stahlkappenschuhen diese Straße entlang marschierten, ihre Werkzeuge niederlegten und für ihr Streikrecht kämpften. Was in Danzig als Protest gegen unfaire Arbeitsbedingungen begann, entwickelte sich bald zu einem Arbeiterkampf, der letztendlich dazu beitrug, den Kommunismus in Osteuropa zu stürzen und der lang ersehnten Freiheit Raum zu geben.
Freiheit. Ein Wert, der oft als eines der wichtigsten möglichen Güter einer Gesellschaft proklamiert wird. In ihrem Namen werden Revolutionen und Kriege geführt; Menschen opfern sich für sie und werden deshalb als Held:innen gefeiert. Diese Idee des Märtyrertums und des Opfers für die Freiheit ist fest verankert in der polnischen Romantik. Der polnische Germanist Karol Sauerland erklärt, das Hauptziel des „polnischen romantischen Helden“ (Sauerland, 2012, S. 182) sei es, „Polen und mit ihm die Menschheit als Ganzes im Namen der Freiheit vor tyrannischer Herrschaft zu retten“ (Sauerland, 2012, S. 182). Deutlich wird das auch in den Werken Mieckiewicz‘, Słowackis und Krasińskis, den bedeutendsten polnischen Romantikern: hier wird Polen zum Befreier Europas und der Menschheit und folgt dabei dem Narrativ des polnischen Messianismus (Sauerland, 2012).
Diese romantisch geprägte Vorstellung eines altruistischen-heroischen Freiheitsbegriffs tauchte historisch immer wieder in sozialen und nationalen Bewegungen auf. In Deutschland riefen die studentischen Burschenschaften, getragen von den Ideen der Jenaer Romantik, zu Protesten auf und in Polen „begründeten und trugen [die romantischen Texte] nicht nur den Widerstand der 1820er und 30er Jahre, sondern auch alle folgenden Widerstandswellen bis hin zur (…) nationalen Erhebung der Solidarność“ (Gall et al. 2007, S. 8). Die Instrumentalisierung und Ideologisierung der Freiheit stellte hier eine treibende und vor allem hoffnungsstiftende Kraft dar, die trotz der etwaigen Aussichtslosigkeit der Proteste zu mobilisieren und Opfer zu rechtfertigen vermochte (Gall et al. 2007).
Ohne die Hoffnung auf Befreiung von äußeren Zwängen und repressiven Systemen wären Revolutionen und soziale Transformationen sicherlich nicht möglich. Doch Freiheit und vor allem ihre Instrumentalisierung haben auch ihre Schattenseiten. Wo Burschenschaften und Solidarność den Wandel angestoßen und vorangetrieben haben, bleiben heute vor allem Nationalismus, Populismus und Konfliktpotential übrig. Weiterhin befeuert von romantischen Heldenbildern, von der Stärke des Individuums im Kollektiv und dem Drang der vermeintlich altruistischen Befreiung der Nation haben sich die einstmaligen „Revolutionäre“ radikalisiert. Freiheit wird im Kampf gegen neue, „anti-nationale“ Feindbilder ideologisiert, wie etwa an der rechtsradikalen Agenda des Großteils der heutigen Burschenschaften zu erkennen (BpB). Auch die in Danzig gegründete Solidarność-Bewegung hat sich mit der Zeit stark in Richtung des rechten Randes orientiert und unterstütze zuletzt die nationalkonservative PiS-Partei (Sendhardt, 2020).
Danzig bezeichnet sich auch heute noch als Stadt der Freiheit. Hier, wo das Meer unablässig gegen dir Hafenmolen schwappt, die europäische Flagge stolz neben der polnischen weht und täglich Schiffe in die Welt aufbrechen, ist das Erbe der Solidarność nicht zu übersehen. Ihr Kampf hat Danzig zu einer blühenden Stadt gemacht und Polen vom Kommunismus befreit. Der romantische Freiheitsbegriff hatte dabei ein starkes Mobilisierungspotential und wurde immer wieder verwendet, um den politischen und sozialen Wandel anzutreiben. Denn trotz seiner abstrakten Natur scheint er uns Menschen zu faszinieren und in uns eine Sehnsucht zu stiften. Doch sobald sie greifbar wird, sobald politische Freiheit zur Realität wird, steigt die Gefahr, dass diejenigen, die für sie gekämpft haben, sie auf eine nationalistische Ideologie reduzieren und sie zum Instrument des Populismus wird. Freiheit soll zum Gut einer spezifischen, national definierten Gruppe werden und die Angst, dass „Fremde“ sie reduzieren, gewinnt an Macht. Es gilt also, Freiheit als Mutmacher und Hoffnungsträger zu sehen, ihre Antriebskraft zu nutzen, dabei aber nicht zu vergessen, dass Frieden, Sicherheit und vor allem Empathie und Toleranz mindestens genauso wichtig sind und dass Freiheit nicht weniger, sondern mehr wird, wenn man andere an ihr teilhaben lässt.
Literatur
Bundeszentrale für politische Bildung (BpB): Burschenschaften. https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500767/burschenschaften/
Gall, Alfred; Grob, Thomas; Ritz, German; Lawaty, Andreas (Hg.) (2007): Romantik und Geschichte. Polnisches Paradigma, europäischer Kontext, deutsch-polnische Perspektive. Wiesbaden: Harrassowitz.
Sauerland, K. (2012). Der Romantikbegriff in Polen und Deutschland. Internationaler Germanistenkongress (2012): Politische Romantik im 19. Und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main. (S. 177-184).
Sendhardt, B. (2020). Die fragmentierte Gewerkschaftsbewegung in Polen: das schwierige Erbe von 1989. Polen-Analysen Ausgabe 263. (S. 2-6).