2017: Exkursion "Ost-Serbien"

Südosteuropa-Exkursion der Professur Südslawistik

Leitung der Exkursion:
Prof. Dr. Thede Kahl

Organisation und Durchführung:
MA Andreea Pascaru und Prof. Dr. Thede Kahl

Zielsetzung der Exkursion:

  • Lepenski Vir & Donauzivilisation

    Lepenski Vir

    Die Siedlung Lepenski Vir liegt an der Grenze zwischen Serbien und Rumänien am Eisernen Tor und hat ihren Namen von einem Strudel, der in der Nähe liegt. 1967 wurde sie bei Probegrabungen zufällig von Dragoslav Srejović und seinen Studenten der Universität Belgrad entdeckt. Unter den Resten eines römischen Wachturms, einem Begräbnisplatz und einer neolithischen Siedlung aus der Starčevo-Kultur wurden verschiedene ältere archäologische Horizonte entdeckt. Sie überlappen sich teilweise aufgrund der begrenzten Raumverhältnisse – das Areal ist an den breitesten Stellen etwa 50 Meter breit und 170 Meter lang. Die bewohnte Fläche war ursprünglich 5500 Quadratmeter groß, allerdings war schon zu Beginn der Ausgrabungen eine Fläche von 1700 Quadratmetern weggespült worden (Srejović 1973: 37). Keramik aus den ältesten Siedlungsbestandteilen wurde mit Hilfe der Radiocarbon-Methode auf ca. 7000 v. Chr. datiert (Thissen 2009: 15). Ursprünglich lag Lepenski Vir direkt am Ufer der Donau, wurde aber wegen der Stauung des Flusses und Überflutung des Areals um zirka 30 Meter nach oben versetzt.

    An der Stelle, an der Lepenski Vir entstand, herrschen gute Bedingungen für eine Besiedlung: die umliegenden Berge schützen vor extremen Temperaturschwankungen und starken Winden. Der Boden ist kalkhaltig und daher auch wärmespeichernd. Die Sommer sind nicht zu heiß, die Winter dagegen mild, es fallen gleichmäßige Regenmengen. Das Mikroklima von Lepenski Vir hat sich jahrtausendelang, seit dem Tertiär, gehalten und einen Rückzugsort für Baumarten geboten, die anderswo schon lange nicht mehr wuchsen, wie den mediterranen Zürgelbaum (Celtis australis). Außerdem liegt das Gebiet zwischen zwei Nahrungsquellen: auf einer Seite grenzt es an den Wald, wo Tiere gejagt werden konnten, auf der anderen Seite an den Fluss. Trotzdem ist das Gelände von außen her leicht erreichbar (Srejović 1973: 34f.)

    Ein wichtiges, erwähnenswertes Merkmal der Siedlung ist die Architektur, die Planung verrät. Srejović teilte die verschiedenen Kulturzonen in fünf verschiedene Hauptphasen ein. Die früheste wird Proto-Lepenski Vir genannt und lag direkt am Donauufer, von wo aus sie sich stromaufwärts ausbreitete. Diese Entwicklung verlief sehr langsam, es gibt nur wenige Fundstücke. Man nimmt an, dass die Behausungen in dieser Zeit aus Materialien gebaut wurden, die nicht beständig sind, wie Häute oder Schilfmatten und mit Holzpfosten. Von der Architektur sind aus dieser Zeit nur die Herde erhalten, die aus in die Erde eingelassenen grauen Kalksteinplatten bestanden und das Verhältnis 1:4 oder 1:3 hatten. Außerdem waren die Herde nach dem Fluss ausgerichtet, was zeigt, dass es eine feste Anordnung der Häuser gab. Es finden sich ausschließlich Schädelbestattungen, vermutlich wurden die Toten im Wald für Insekten und Raubtiere aufgehängt und die Reste begraben.

    Die darauf folgende Siedlung Lepenski Vir I wird in die Bauhorizonte a-e unterteilt. Sie breitete sich auf die gesamte Uferterrasse aus und dehnte sich auch vertikal aus: Neubauten wurden auf den Resten älterer Behausungen errichtet. Die Häuser haben einen trapezförmigen Grundriss, der Löcher für die Dachstützen enthielt. Außerdem enthalten sie vor dem Herd steinerne Schwellen und dahinter einen kugelförmigen Stein mit einer runden Vertiefung, den Srejović „Altar“ nennt (allerdings ist der Zweck unsicher) und der das Zentrum des Hauses bildet. Die Fundamente der Häuser werden genau abgegrenzt und mit Steinen ausgelegt. Die Böden wurden mit einer flüssigen Mischung aus Wasser, Sand, Kies und gebranntem Kalkstein ausgegossen und in manchen Häusern noch mit einem Estrich überzogen, was sehr beständig ist. Zuvor mussten alle Bestandteile des Innenraums in ihre gewünschte Position gesetzt worden sein. Die höher gelegenen Häuser waren teilweise bis zu einem Meter in den Hang gegraben, um Platz zu sparen. Zwischen den einzelnen Ebenen existierten Rampen, Gänge und Stufen. Die Häuser gruppieren sich um ein zentrales großes Haus, das das Bild der Siedlung bis I e beherrschte und das Srejović in Anlehnung an den Aufbau heutiger Städte den „Marktplatz“ nennt. Diese Entwicklung der architektonischen Planung zeigt, warum Lepenski Vir I als Höhepunkt dieser Kultur gilt, die in der Forschung auch den Namen „Lepenski Vir-Kultur“ trägt und sich anscheinend nicht nur auf die Siedlung am Donauufer beschränkte. Außerdem fand man in dieser Schicht die ersten der Sandsteinskulpturen. Ab I b wurden die Toten im Hausheiligtum bestattet, allerdings fand auch hier nur eine Zweitbestattung statt, nachdem der Leichnam im Wald ausgelegt worden war (Srejovic 1973: 143). Es gab Hirschgeweihe und Hirschschädel als Grabbeigaben. Es ist möglich, dass diese Grabbeigaben dazu dienen sollten, die Eigenschaften der Tiere auf die Menschen übergehen zu lassen, zum Beispiel wie ein Hirsch zu sehen. Dazu wie auch für die Bestattungen der menschlichen Überreste benötigte man anscheinend nicht das vollständige Skelett; einzelne Knochen könnten stellvertretend für das Ganze gestanden haben (Živaljević 2015: 686). Außerdem waren Tiere, besonders die Haustiere der Bewohner, auf einer Ebene mit den Menschen und wurden nicht als Dinge, sondern gleichberechtigte Personen angesehen (Živaljević 2015: 693).

    Darauf folgte das rasch erbaute Lepenski Vir II, das nur eine dünne Besiedlungsschicht und keine Überbauung älterer Häuser aufweist. Es bestand nicht lange. Darüber fand man die obersten Siedlungsschichten Lepenski Vir III a und b, von denen sich letztere über 5500 Quadratmeter erstreckte und die größte war. Die Kultur von Lepenski Vir III b bricht schließlich plötzlich ab (Srejović 1973: 38 ff). Lepenski Vir III wird schon zur neolithischen Starčevo-Kultur gerechnet und enthält keine Steinskulpturen mehr.

    Besondere Aufmerksamkeit erregen die in Lepenski Vir I b aufkommenden Sandsteinskulpturen, die als die älteste Monumentalkunst Europas bezeichnet werden. Sie dienten möglicherweise einem kultischen Zweck. Srejović teilt sie in drei Gruppen ein, die alle gleichzeitig auftauchen: neben abstrakten Formen mit Mäander-, Wellen- oder anderen Linien gab es auch omphaloi (phallische Darstellungen) und die „naturalistische“ Skulpturen, die am bekanntesten geworden sind: es handelt sich hierbei um Abbildungen von menschlichen Köpfen beziehungsweise Oberkörpern mit fischähnlichen Zügen. (Srejović 1973: 9) Möglicherweise wurde mit diesen Skulpturen, die man größtenteils hinter der Herdstelle aufgestellt entdeckte und dahinter eine Art Hausheiligtum vermutete, die zweite große Nahrungsquelle der Bewohner von Lepenski Vir verehrt: man fand heraus, dass sie sich auf systematische Nahrungsmittelproduktion spezialisiert hatten, im Genaueren den Fischfang. (Srejović 1973: 75) Es könnte sein, dass diese Spezialisierung aus der Not heraus geschah und durch den Kälteeinbruch um 6200 cal BC hervorgerufen wurde. Eines der wenigen Beispiele aus der noch äußerst lückenhaft belegten Zeit des Spätmesolithikum für die Spezialisierung auf Fischfang ist Lepenski Vir (Gronenborn 2014: 29).

    Lepenski Vir wird von Srejović als „zeitlich und örtlich isolierte Erscheinung“ bezeichnet und ist nicht in die allgemeinen kulturgeschichtlichen Muster des frühgeschichtlichen Europas einzuordnen. Die Einteilung in Paläolithikum, Mesolithikum und Neolithikum reiche nicht mehr aus. Während die Kunst und Religion dem Paläolithikum zuzuordnen seien, sei die Wirtschaftsform (systematische Nahrungsmittelproduktion) typisch mesolithisch und die Siedlung als ortsfeste Niederlassung typisch neolithisch. Lepenski Vir ist damit ein Vorläufer der Neolithischen Revolution (Srejović 1973: 12f). Lepenski Vir fällt in eine Dekadenzphase, in der, wie man zur Zeit der Entdeckung Lepenski Virs annahm, ortsgebundene und konservative Kulturen mit kleinen Jägergemeinschaften vorherrschten. Ein Kulturfluss kam erst über den Nahen Osten nach Europa. Heute hat man drei Einflusszonen beziehungsweise Routen bestimmt, über die durch Kontakte zu anderen Kulturen die Neolithisierung Europas auf verschiedene Weise voranschritt (Gronenborn/Terberger 2014: 7).

    Im Gespräch in Lepenski Vir kam die Frage auf, wie die Versetzung der Siedlung 1970 vonstatten ging. Wir diskutierten darüber, ob die Fundstücke der einzelnen Ebenen komplett, auf einmal, oder in mühevoller Kleinarbeit einzeln versetzt worden waren. Tatsächlich wurden 10 cm dicke Stahlrohre in das Erdreich unter den Häusern eingeführt, nachdem der Hausgrund mit Chemikalien gefestigt worden war. Danach wurde das Haus vom Untergrund getrennt. Die Kleinfunde wurden getrennt nach oben gebracht (Srejović 1973: 221). Außerdem fragten wir uns, wie viele Fundstücke wohl noch gefunden worden wären, hätte man Lepenski Vir nicht so eilig erforschen müssen. Schließlich wurde das Gebiet schon bald nach Beginn der Ausgrabungen überflutet.

    Die Donauzivilisation und die Verbindung zu Lepenski Vir

    Der Begriff der „Donauzivilisation“ bzw. „Alteuropa“ wurde von Harald Haarmann eingeführt und von ihm in zahlreichen Publikationen erläutert (Haarmann 2010 a und b, 2011, 2016). Er bezeichnet damit übergreifend „Populationen mit gleichgerichteten ökonomischen Interessen, mit überregionalen Kommunikations- und Wertesystemen, mit ähnlicher materieller Kultur und Kultursymbolik“, auch die Vinča-Kultur, auf deren Gebiet Lepenski Vir liegt (Haarmann 2011: 42) Sie sollen die ersten Großsiedlungen, zweigeschossigen Reihenhäuser, Töpferräder, zylindrischen Rollsiegel, Brennöfen mit Möglichkeit der Temperaturregelung, Artefakte aus Gold und Pflüge gekannt haben (Haarmann 2011: 11 bzw. 51) Sie soll eine eigene Schrift und Zählweise gekannt haben, lange vor den Sumerern. Während in Anatolien um 5800 v. Chr. die Siedlungen nach dem Anbruch einer Wärmeperiode schrumpften, soll sich das Siedlungsgebiet der Ackerbauern in Südosteuropa vergrößert haben (Haarmann 2011: 40). Er ordnet Lepenski Vir der Donauzivilisation zu. Die fischartigen Skulpturen der Siedlung sind laut Haarmann Ausdruck der Erinnerung an große Überflutungen im Donautal. Überflutungen sollen auch die Migrationsbewegungen Südosteuropas in dieser Zeit beeinflusst haben (Haarmann 2011: 27). Lepenski Vir stellt für Haarmann aufgrund der Herdstellen, die gleichzeitig säkular und kultisch genutzt wurden, eine Brücke zwischen dem Jungpaläolithikum und der Donauzivilisation dar (Haarmann 2011: 97). Außerdem übernimmt er die Interpretation Srejovićs und stellt auch die „Altäre“ als Verbindungselement zwischen vorkeramischer und alteuropäischer Zeit dar (Haarmann 2011: 106). Aufgrund der komplexen Ausprägung der Kultur von Lepenski Vir, die eine genaue Zuordnung zu einer der drei Phasen der Steinzeit nicht möglich macht (siehe oben), ist die Sichtweise der Siedlung als Brücke zwischen den Epochen einleuchtend.

  • Römer und Daker im Donauraum

    Der Sohn des göttlichen Nerva und regierender Kaiser, Nerva Traianus Augustus Germanicus, Pontifex Maximus, zum vierten Male Inhaber der tribunizischen Gewalt, Vater des Vaterlandes und zum dritten Mal Konsul, hat Gebirge und Strom überwunden und diese Straße gebaut.” 
    (Instinsky 1943: 33-38)

    So lautet die bekannte Inschrift auf der „Tabula Traiana”, die unmittelbar auf die römische Besiedlung des Donauraums [an der heutigen Grenze zwischen Serbien und Rumänien] verweist. Bezogen wird sich dabei auf den berühmten römischen Kaiser Trajan, unter dessen Herrschaft (98. – 117. n. Chr.) das Römische Reich die größte Ausdehnung erreichte, am nördlichen Ende bis zur Donau und noch weiter. Ihm ist es so als Erster gelungen das Dakerreich zu erobern.

    Die dakischen Stämme ließen sich bereits im 5. Jh. v. Chr. im den westlichen Schwarzmeergebieten und in den Karpaten nieder. Erst im 1. Jh. n. Chr. wurden die Daker unter König Burebista vereint und das Dakerreich umfasste etwa das Gebiet des heutigen Rumäniens, ohne die Dobrudscha (Strobel 1984: 41).

    Die Daker stellten für längere Zeit eine Gefahr für die Römer dar. Bereits die Vorläufer Trajans mussten sich öfter mit dakischen Überfällen konfrontieren, die sogar zu den so genannten Dakerkriegen führten. Nach dem Friedensschluss des Kaisers Domitians mit dem dakischen König Decebal im Jahre 89. n. Chr. war die Donau für die Römer von besonderer Bedeutung zur Sicherung der Grenzen zwischen dem Dakerreich und dem Römischen Imperium (ebd.: 155). Die Donaugrenze stellte eine unmittelbare strategische Notwendigkeit dar.

    Es war Kaiser Trajan, der sich für die Sicherheit der Donaugrenze aktiv engagiert hatte. Aus diesem Grund ließ er eine Donaustraße bauen, an welche heute die Trajanstafel erinnert. Der Bau der Straße wurde im Jahre 100. n.Chr. abgeschlossen und führte im heutigen Serbien von Golubac bis Kladovo unterhalb der Schlucht des Eisernen Tors. Dieser Straßenabschnitt war eine Fortsetzung der 45 n. Chr. gebauten römischen Militärstraße, von Westen nach Osten verlängert (Instinsky 1943: 33-38). Mit Hilfe dieser strategisch sehr gut gelegenen Militärstraße ist es dem Kaiser Trajan gelungen, das Dakerreich in 106 n. Chr. endgültig zu erobern und das Römische Imperium um die neue Provinz „Dakien” zu erweitern. Das Interesse Trajans an der Eroberung des Dakerreichs war nicht nur eine Frage der Gefahr, vielmehr lagen seine Interessen darin sich der großen materiellen Ressourcen in den dakischen Siedlungsgebieten zu ermächtigen, besonders der Metalle und Edelmetalle (Strobel 1984: 156). Dadurch wurde es Trajan ermöglicht, eine erfolgreiche Expansionspolitik zu führen und sein Reich durch neue Infrastruktur, Aufbau neuer Städte und Bauwerken zu bereichern.

    Neben Feldforschungsaktivitäten und Kennenlernen der Vertreter der vlachischen, altserbischen oder auch Roma-Minderheit, hatten wir auf unserer Exkursion im Timok-Tal die Gelegenheit, Erinnerungsorte der römischen und dakischen Zivilisation zu besichtigen und kennenzulernen. Auf einer kurzen Bootsfahrt konnten wir die Trajans Tafel direkt von der Mitte der Donau aus an der serbischen Küste bewundern. Obwohl die Tafel relativ klein war (3,2 Meter lang und 1,8 Meter hoch), haben wir uns alle gewundert, wie es möglich war sie wegen des Wasserkraftwerkbaus in den 70er Jahren um 30 Meter nach oben zu versetzen. Da sie in die Felsen gemeißelt wurde, ist es ziemlich schwer vorstellbar. Wenn auch dieses Denkmal auf viele Touristen vielleicht nicht besonders beeindruckend wirken mag, eine Bootsfahrt am Donauspiegel kann sehr abenteuerlich und gleichzeitig durch den Blick auf die Natur beruhigend sein.

    Unter anderem kann man an dem gleichen Ort sogar mehrere Sehenswürdigkeiten besichtigen, das Felsenkloster Mraconia und ein Reliefbild des dakischen Königs Decebal. Das alles ist den Besuchern am Beginn des Beckens von Orșova zugänglich, an der rumänischen Seite der Donau. Der majestätische „Kopf” von Decebal lockt besonders die Reisenden auf der serbischen Seite an. Ein Blick über die Donau und man kann ihn nicht übersehen. 40 Meter hoch, in die Felsen gemeißelt, ragt er bis in den Himmel. Man überlegt, wann er gefertigt wurde und denkt dabei, er müsste sicher sehr alt sein. Falsch! Der Bau begann erst 1994 und wurde im Jahre 2004 fertig gestellt. Die Kosten beliefen sich auf 1 Million US-Dollar. Glücklicherweise waren es keine Steuergelder, sondern eine Privatinvestition. Wie schon der Text unter dem Gesicht Decebals sagt: „DECEBALUS REX; DRAGAN FECIT” (Decebal, der König, von Drăgan gebaut), wurde der Bau des Reliefbilds von einem Historiker und Geschäftsmann namens Iosif Constantin Drăgan initiiert. Dabei ist das Bildrelief des Gesichts Decebals ein Zeichen für den Nationalstolz bezüglich der „dakischer Herkunft” der Rumänen, der in Rumänien immer noch stark präsent ist.

    Neben der Tabula Traiana und weiteren römischen Dnkmälern am Donauufer lässt sich feststellen, dass der Donauraum bereits zur damaligen Zeit von großer Wichtigkeit war, besonders aus geopolitischer Sicht. Ebenso bildet die Donau heutzutage die Grenze zwischen verschiedenen europäischen Staaten, nicht nur zwischen Serbien und Rumänien.

  • Serben in Rumänien

    Während unserer Exkursion teilte sich die Gruppe in Interessierte an den Feldforschungen zum Serbischen in Sviniţa (Mehedinţi) und zu den Rudari in Pojejena. 

    In Rumänien gibt es eine serbische Minderheit im Banat rund um Timișoara und Orșova im Kreis Timiș, Belobreșca, Câmpia, Divici, Liubcova, Măcești, Moldova Veche, Pojejena, Socol, Zlatița (alle Kreis Caraș-Severin) und Svinița (Kreis Mehedinți), wobei letztere Sprecher eines vollkommen anderen Dialektes sind. Insgesamt leben heute nach offizieller Zählung 22.561 Serben im Rumänien. Das von uns aufgesucht Dorf Sviniţa (rumänisch: Sviniţa, serbisch: Свињица, ungarisch: Szinice) an der Donau unweit des Eisernen Tores ist eine Gemeinde im Kreis Mehedinţi im Gebiet des Banats (Clisura Dunării/ Banatska Klisura). Die Gemeinde besteht aus einem einzigen Dorf, Sviniţa, dessen Bevölkerung 2011 928 Menschen zählte und hauptsächlich aus Serben bestand. 

    Die Gruppe machten Aufnahmen zum lokalen Serbisch und diskutierte mit Vertretern der serbischen Gemeinde. Die Aufnahmen wurden im Jenaer EthnoThesaurus und im Feldforschungsrepositorium LAZAR gespeichert.

  • Rumänen und Vlachen in Serbien

    In Serbien gibt es neben vielen kleinen und daher schwerer zu definierenden, drei größere rumänischsprachige Gruppen: Die Vlachen, die Bajeschi und die Rumänen (Sikimić 2014: 52).  Auf der Exkursion haben wir uns von diesen drei vorrangig mit den Vlachen auseinandergesetzt, aber auch die anderen kennengelernt. 

    Der Begriff „Vlachen“ wird in der älteren Fachliteratur nicht eindeutig verwendet. Ursprünglich kommt er vermutlich aus dem Keltischen und bedeutete in den südosteuropäischen Sprachen „Rumänen“, im Laufe der Zeit weitete sich die Bedeutung und bezog sich z.B. auch auf die slavisierten Romanen (Peyfuss 2014: 730ff). In älterer Fachliteratur stößt man unter anderem auch auf die parallele Verwendung der Begriffte „Vlachen“ und „Aromunen“, wobei die aus dem Südbalkan (Griechenland, Albanien) stammenden Aromunen ein andere Sprache haben als die Vlachen Ostserbiens, deren Sprache eine Kontinuität westrumänischer Dialekte darstellt. Wir haben uns mit der im Osten Serbiens lebenden Minderheit der Vlachen beschäftigt. Es gibt mehrere Theorien über die Herkunft der Vlachen. Dabei ist die heute am meisten rezipierte, dass die ursprüngliche Heimat der Vlachen auf dem Balkan liegt und sie dort slawischen Einflüssen begegneten. Lange war das Siedlungsgebiet romanisch, ab dem 17. Jahrhundert gab es Migrationsbewegungen von nördlich der Donau nach südlich der Donau. Ebenso gab es in der Folge bulgarische und serbische Einflüsse (Sorescu-Marinković 2006: 125.). Der Zensus von 2002 erfasste 40.054 Menschen in Serbien, die sich ethnisch als Vlachen bezeichneten. Die meisten gehören der serbisch-orthodoxen Konfession an (OSCE 2008: 24).

    Die vlachische Kultur zeichnet sich dadurch aus, dass sie überwiegend oral tradiert wurde. Von Beruf waren die meisten Vlachen Schafshirten. Das Vlachische Serbiens wird aus linguistischer Sicht meistens nicht als eigenständige Sprache betrachtet, viele sehen es es als archaische, dialektale Varietät des Rumänischen (Sorescu-Marinković 2012: 1). Spannend ist es bei dieser Thematik, sich auch die politische Ebene anzuschauen. Serbien ist bekannt für seine Minderheitenpolitik, die es mit Aussicht auf den EU-Beitritt im europäischen Sinne vorantreibt. Im Prozess, Serbien den Status des EU-Beitrittskandidaten zu verleihen, blockierte Rumänien zunächst den Beschluss und forderte, Serbien müsse Rumänisch-Unterricht für alle Rumänen in Serbien, auch die Vlachen, einführen. Dabei wurden allerdings auch vlachische Stimmen laut, die erklärten, dass sie sich nicht als Rumänen sehen. Rumänisch entspricht auch nicht der Sprache der Vlachen Serbiens.

    Die Vlachen waren die erste südosteuropäische Minderheit, die wir auf unserer Exkursion kennenlernen durften. In Donji Milanovac wurden wir von unseren Gastgebern mit vlachischem Essen begrüßt, dass uns bis zum letzten Tag dort täglich in Begeisterung versetzte. Gleichzeitig konnten wir auch unsere ersten sprachlichen Beobachtungen machen: Obwohl wir in Serbien waren, sprachen unsere Gastgeber vorrangig Rumänisch. Die Zweisprachigkeit ist uns auch bei der Feldforschung immer wieder begegnet – was uns, da manche von uns kein Serbisch, aber Rumänisch lernen, oftmals für Unterhaltungen mit den Menschen sehr entgegen kam. Beim ersten Interview, das Herr Kahl führte, sprachen wir mit vlachischen Musikern. Auch wir durften unsere Fragen stellen und konnten so viel über die Tradition des Musikmachens und des eigenhändigen Baus von Instrumenten erfahren. Außerdem kamen wir in den Genuss, nicht nur die Musik, die für gewöhnlich für Touristen gespielt wird zu hören, sondern auch tatsächlich traditionelle vlachische Musik. Auch für Außenstehende war der Unterschied sehr schnell zu spüren. Für die Rumänisch-Lernenden unter uns waren die Gespräche mit den Vlachen spannend, da wir sehen konnten, wie viel wir vom Vlachischen verstehen und wo wir Unterschiede feststellen konnten. Neben Musik und Alltagssprache im Dialekt wurden wir außerdem Zuhörende von verschiedenen alten vlachischen Geschichten. Oftmals hatten die Interviewten erstmal Schwierigkeiten, fließend Vlachisch zu sprechen. So rutschten manche immer wieder ins Serbische und auf rumänischer Seite war der rumänische Spracheinfluss deutlich zu erkennen. Beim Vokabular gibt es, durch die ursprüngliche Lebensweise als Schafshirten, viele vlachische Tierbezeichnungen, die uns ein Interviewpartner an seinen eigenen Schafen demonstrierte.

    An der Akademie der Wissenschaften und Künste in Belgrad wurden uns noch andere Aspekte der vlachischen Minderheit erläutert. So zählt die vlachische Sprache zu den vom Aussterben bedrohten Sprachen. Es gibt allerdings auch neue Bewegungen: Obwohl die Sprache traditionell nicht geschrieben wird, sondern nur eine orale Tradition hat, gibt es mittlerweile Versuche sie zu verschriftlichen. Dabei ist schon ein Kinderbuch entstanden und es wird versucht, die Sprache so auch in den Schulunterricht einzuführen. Ebenfalls gibt es politische Bewegungen aus der vlachischen Minderheit, so zum Beispiel die VNS (Vlaška Narodna Stranka). Auch wir trafen wir einen politischen Vertreter der Vlachen, als wir in Bor waren, mit dem wir einige Sunden diskutierten.

    Die Zweisprachigkeit der Region konnten wir auch immer wieder auf unseren Autofahrten beobachten – die meisten Ortsschilder sind auf Serbisch in kyrillischen Buchstaben sowie auf Rumänisch in lateinischen Buchstaben geschrieben.

  • Pojejena: Roma und Rudari

    Unser Weg führte uns auf rumänischer Seite der Donau zur Roma-Vertreterin Iovanca Gașpar, um einen Blick in das Leben der Roma in Rumänien und Europa zu werfen. Ein Tag, der interessante und Horizont öffnende Einblicke in die Welt der Roma und der Diskussion um sie abseits von Schreibtischdisputen über political correctness bot und uns die Komplexität und die Problematiken bei der Erfassung und Einordnung der Gruppe der Roma aufzeigte.

    Die Roma (sig. Rom, dtsch.: „Mann, Mensch“) wanderten bis spätestens 1300 in Südosteuropa ein. Von dort verbreiteten sie sich zunächst über Europa, heute Leben Roma über die ganze Welt verteilt. Sie stammen nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aus dem Nordwesten Indiens. Da die Sprache der Roma, Romanes, keine schriftliche Tradition hat und die Roma demzufolge keine eigene Geschichtsschreibung haben, wurden wissenschaftliche Erkenntnisse über ihre Herkunft und ihren Reiseweg nach Europa erst sehr spät in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewonnen (Sundhaussen u. Clewig 2016: 787ff). Dennoch sind viele Aspekte ihrer Migrationsgeschichte noch ungeklärt, etwa die Beweggründe der Migration Richtung Europa, aber auch die Anzahl der Wandernden und die Art der Fortbewegung. Die meisten Hinweise bietet die Sprache der Roma, da anhand des Erbwortschatzes Schlüsse auf die durchwandernden Gebiete gezogen werden können und ein ungefährer zeitlicher Rahmen ihrer Reise gesetzt werden kann. Auch die Geschichtsschreibung anderer Völker und Länder bietet Hinweise.

    Da die Kultur und Sprache der Roma immer von der sie umgebenden Bevölkerung beeinflusst war wurde, haben sich über die Jahrhunderte sehr unterschiedliche regionale Prägungen innerhalb der Roma-Gemeinschaft entwickelt. Die Geschichte der Roma war von Diskriminierung und Ablehnung geprägt. Leider gehört schändliches Verhalten gegenüber Angehörigen der Gruppe nicht der Vergangenheit an. Durch die Bezeichnung als „Roma“, bzw. das deutsche Begriffspaar „Sinti und Roma“, die sich als politisch korrekt seit den 1980er Jahren durchgesetzt haben, wurde die alte Bezeichnung „Zigeuner“ weitgehend abgelöst (BPB 2017: o.S.). Die Meinungen über diese „neue“ Bezeichnung gehen innerhalb als auch außerhalb der Roma-Gemeinschaft stark auseinander (Fings 2016: 13).

    Die Rudari/Băeși sind rumänischsprachige ethnische Roma, die als Minderheit in Serbien leben. Sie stammen ursprünglich aus Rumänien, aus dem Gebiet Oltenien südlich der Karpaten. Dort waren sie als Minenarbeiter tätig. Bis Ende des 19. Jahrhunderts in Rumänien die Sklaverei abgeschafft wurde, waren sie gezwungen unter misserablen Bedingungen unter Tage zu schuften. Aufgrund der Schwere der Arbeit, die immer weniger rentabel wurde, gingen immer mehr Rudari dazu über, als Schnitzer Kämme, Schüsseln und ähnliche Gebrauchsgegenstände aus Holz herzustellen. Die meisten Rudari verließen Rumänien nach der Abschaffung der Sklaverei, einige Gruppen flohen allerdings schon früher im 18. Jahrhundert. Wahrscheinlich im Zusammenhang mit ihren miserablen Lebensbedingungen und der allgemeinen ablehnenden Haltung gegenüber Roma legten sie die Sprache Romanes völlig ab. Rudari sprechen, neben der in ihrem Heimatland gesprochenen Sprache eine altertümliche Form des Rumänischen, der heute mit verschieden sprachlichen Elementen vermischt ist (Leschber 2008: 338ff).

    Nachdem wir uns in den letzten Tagen vor allem mit Vertretern der vlachischen Minderheit getroffen und auseinandergesetzt hatten, waren wir heute mit Iovanca, einer Romni verabredet. Mit Telepathie und Glück trafen wir sie und ihren Mann Neluțu in ihrem Haus in Pojejena. Iovanca, die als Roma-Vertreterin sowohl um die Verbesserung der Situation der Roma in Rumänien als auch im Ausland besorgt und bemüht ist, gab uns in einem ersten Gespräch Informationen rund um das Leben der Roma im In - wie Ausland, während ihr Mann uns mit Bier und ihre Mutter uns mit vorzüglichen frisch gebackenen Gogoși versorgte. Interessanter Weise verneinte Iovanca die Zugehörigkeit der Rudari zur Gruppe der Roma. Diese Aussage überraschte uns, steht sie doch im Widerspruch zur wissenschaftlichen Sichtweise, welche die Rudari als eine Gruppe ethnischer Roma betrachtet.

    Mit Neluțu machten wir einen kurzen Verdauungsspaziergang durchs Dorf. Wie viele Dörfer in der Region ist Pojejena ein gemischt-ethnisches Dorf mit rumänischer, serbischer und Roma-Bevölkerung. Die Gruppen leben nebeneinander in verschiedenen Teilen des Dorfes. Neben den reifen Kirschen an den Bäumen war das EU-geförderte Freibad ein besonderes Highlight unseres Spaziergangs. Von der Eisbude über die kleine Freiluftbühne bis zur Promenade mit Donaublick war wirklich an alles gedacht - bis auf Wasser in den Schwimmbecken. Laut Neluțu war am Ende der Bauarbeiten leider kein Geld für einen Wasserfilter mehr übrig... Nun freuen sich die Schlangen über den warmen Beton der ungenutzten Uferpromenade.

    Zurück vom Spaziergang hatte Iovanca mächtig für uns aufgetafelt. Wir vergaßen die drückende Hitze und unsere mit Gogoși gefüllten Bäuche und genossen das wunderbare Essen, Salate, Gemüse, Fleisch und süße Kleinigkeiten.

    Gemeinsam mit Neluțu fuhren wir in das Heimatdorf von Iovancas Mutter. Wir wollten ein wenig durch das Dorf spazieren und sehen, ob wir mit einigen der dort ansässigen Roma und Rudari in Kontakt kommen könnten. Doch wir kamen nicht weit. Aus einem Haus nahe des Dorfeingangs schallte ohrenbetäubend laut Musik. Ion, der uns zusammen mit Lucian am Dorfeingang empfangen hatte, war sofort Feuer und Flamme. Mit viel Elan und Ausdauer versuchte er, uns die grundlegenden Tanzschritte beizubringen. Glücklicherweise wurden wir kurz darauf von einer Romni gerettet, die uns lauthals serbisch sprechend auf einen Kaffee einlud. Wir folgten ihr in ihr Haus. Sofort wurden wir in die Sofa-Ecke geschoben, der neugierige Urenkel und sein Freund aus dem Wohnzimmer vertrieben und Wasser aufgesetzt. Sie und ihr Mann führten die Unterhaltung mit uns zweisprachig, auf serbisch und rumänisch. Das war sehr praktisch, denn so konnten wir unsere mehr oder weniger ausgeprägten Sprachkenntnisse kombinieren und der Unterhaltung gut folgen. Ihr Urenkel sprach hingegen, soweit wir feststellen konnten, nur rumänisch. Nach einer Zigarette mit Tabak aus eigenem Anbau fand uns ein etwas besorgter Neluțu, dem unser anhaltendes Verschwinden vom Tanz Kopfzerbrechen bereitet hatte. Mit dem Versprechen, beim nächsten Mal etwas länger zu bleiben, verließen wir die Frau und setzten unseren Spaziergang fort. Mit der Rudari - Bevölkerung kam es leider zu keinem sehr intensiven Auseinandersetzung, mehr als ein Grüßen am Straßenrand fand nicht statt. Die Unterhaltung mit unseren Begleitern über deren Leben und das Leben der Roma in der Region war zu interessant und angeregt.

    Als am Abend der Rest der Gruppe von der Feldforschung in Svinița zurückkam, wurden wir auf sehr amüsante Art und Weise mit unseren Vorurteilen und Klischees konfrontiert. Wir trafen uns vor dem Haus mit der lauten Musik wieder. Und wieder wurde getanzt, gegen unsere Erwartung bekamen wir aber keinen Einblick in die Tanzkultur der Roma, sondern waren selber gefragt. Immer mehr Dörfler kamen, setzten sich auf die umstehenden Bänke und beobachteten uns dabei, wie wir tapfer in der warmen Abendsonne herum hampelten, aber keiner von ihnen tanzte. Ich glaube, sie amüsierten sich ganz köstlich. Also keine feurig tanzenden Roma, dafür fröhlich herum hüpfende angehende Feldforscher. Hungrig getanzt und um Erfahrungen im interkulturellen Austausch reicher verließen wir das Dorf und genossen beim Essen einen wunderbaren Sonnenuntergang über der Donau.

  • Türken und Osmanen an der Donau

    Historisches...

    Bei einem Aufenthalt in der serbischen Hauptstadt Belgrad ist der Besuch des Kalemegdan, der Festungsanlage am Zusammenfluss der Save und Donau, schon fast obligatorisch. Für Sprechende des Türkischen ist die Etymologie des Wortes schnell erklärt. Es setzt sich zusammen aus dem türkischen Wort für Festung oder Burg (tr. Kale) und Platz (tr. Meydan), wobei letzteres wiederum aus dem Arabischen ins Türkische eingegangen ist. Kalemegdan ist also vereinfacht gesagt der Festungsplatz und nur eines von etlichen türkischen Toponymen in Belgrad und in der Region unserer Exkursion. Wenn man sich von Belgrad aus die Donau flussabwärts bewegt, gelangt man ans Eiserne Tor und passiert somit auch die engen Taldurchbrüche, die im Serbischen als „Казан/ Kazan“ (türkisch für „Kessel“)  bezeichnet werden, ehe man auf der Höhe von Orșova in Rumänien die untergegangene und bis 1971 türkisch besiedelte Insel Adakale zumindest für einen Moment aus der Donau emporgestiegen geglaubt haben will.

    Doch abseits der Toponyme und der zahlreichen Turzismen im Serbischen und in geringerer Zahl auch im Rumänischen, die auf die bis zu 500 Jahre wehrende osmanische Fremdherrschaft zurückzuführen sind, scheint zumindest seit dem Bau des Staudamms Djerdap I und dem Untergang der Flussinsel Adakale der türkische Einfluss in der Region erloschen zu sein. Dabei ist es bei der Betrachtung der osmanischen Expansion auf dem Balkan und der türkischen Besiedlungsgeschichte in der Region wichtig – so die hier vorangestellte These - eine separate Betrachtung der Timočka Krajina einerseits, und des Banats, des serbischen wie rumänischen, andererseits vorzunehmen. Denn große Teile der heutigen Timočka Krajina wurden bereits ab 1396, nach der Schlacht bei Nikopolis, als Teil des Sandzaks Vidin in das Osmanische Reich eingegliedert und blieben, wie auch die übrigen Landesteile des heutigen Serbien mit Ausnahme der Vojvodina bis zum Berliner Kongress 1878 zumindest nominell als ein Teil dessen bestehen. Dahingegen war das Banat bis zur sukzessiven Eroberung im 16. Jahrhundert durch das Osmanische Reich ein Teil Ungarns und wechselte bis zur endgültigen Rückeroberung durch die Habsburger im Jahre 1718 und der Vertreibung der muslimischen Bevölkerung mehrmals den Besitz zwischen den beiden Reichen (vgl. Wolf 2004: 17ff). Trotz räumlicher Nähe weisen die beiden Regionen somit eine sehr unterschiedliche Dauer bezüglich des Verbleibs im Osmanischen Reich auf.

    Dennoch ist es auf dem ersten Blick erstaunlich, dass die Zahl Personen, die sich als ethnisch türkisch identifizieren, im heutigen Rumänien um ein vielfaches höher ist als in Serbien. Denn während bei der letzten Volkszählung 2011 in Serbien lediglich 647 Personen angaben ethnische Türken zu sein[1]Externer Link (Republiki Zavod za Statisku 2011: o.S.), ist die Zahl der in Rumänien lebenden Türken mit knapp 30.000 Personen deutlich höher (vgl. Kahl 2016: 19).

    Im Falle Serbiens war es jedoch nicht möglich den amtlichen Statistiken zu entnehmen, ob und wie viele dieser in unserem Exkursionsgebiet leben. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Personen sich hauptsächlich in den urbanen Zentren und im Sandzak Novi Pazar befinden, da dieser erst 1913 durch Serbien erobert wurde und bis heute noch über eine muslimische Bevölkerungsmehrheit verfügt, die aber überwiegend durch Bosniaken konstituiert wird. Gründe für die geringe Zahl dürften aber auch einerseits die Abwanderungen und Vertreibungen der türkischen, wie auch muslimischen Bevölkerung in die verblieben europäischen wie auch anatolischen Reichsteile sein, die mit der partiellen Autonomie Serbiens vom Osmanischen Reich 1815 ihren Anfang nahmen und sich durch den serbisch-türkischen Krieg 1877/ 1878 noch verschärften (vgl. Jagodić 1998: 6f). Andererseits bleibt aber auch festzuhalten, dass das Gebiet des heutigen Serbien nie eine großflächige türkische Kolonisation wie eben die Dobrudscha, weite Teile Bulgariens und Nordgriechenlands erfuhr, so dass türkische Bevölkerungsmehrheiten hauptsächlich in den urbanen Zentren des Landes konzentriert waren (vgl. Vuletić 2012: 7).

    Im rumänischen Teil unserer Exkursionsgebietes wiederum ist den amtlichen Statistiken zu entnehmen, dass sich bei der letzten Volkszählung 38 Personen im Kreis Mehedinți, als türkisch identifizierten (vgl. Institutul National de Statistica 2012: 11). Dennoch befindet sich die übergroße Mehrheit der türkischen Bevölkerung in Rumänien außerhalb unseres Exkursionsgebietes, nämlich in der Dobrudscha. Diese stand, anders als die Fürstentümer der Walachei und Moldau, bis 1878 unter direkter osmanischer Verwaltung und verfügte noch bis ins 20. Jahrhundert über eine beachtliche muslimische Bevölkerungszahl, die hauptsächlich durch Türken und Tataren konstituiert wurde, was ihr deshalb auch die Bezeichnung Tara Turceasca einbrachte (Kahl 2005: 94).

    ... und Persönliches

    Nun sitze ich hier und stehe vor dem gleichen Problem, mit dem wahrscheinlich jeder schon mal konfrontiert war, der über ethnische Gruppen was schreiben wollte: Wie macht man das, wenn die Eindrücke die man von einer Ethnie gewinnt nur auf wenige Personen und noch dazu zeitlich und lokal so begrenzt sind? Ich weiche dieser unangenehmen Frage erst mal aus und schildere meine Anfangsüberlegungen, die man eben vor einer jeden Reise hat.

    Eine Woche vor unserer Exkursion war ich für einen Kurztrip in Riga und nahm dort an einer Stadtführung teil. Wir legten dabei eine kurze Pause ein, um einen Kaffee zu uns zu nehmen und ich denke ich spreche hier jedem Raucher aus der Seele, dass ein Kaffee ohne Zigarette nur halb so viel Spaß macht und da in dem Café, welches wir aufsuchten auch im Außenbereich das Rauchen untersagt war, war ich gezwungen einen Cafe-To-Go zu bestellen und mir einen Ort außerhalb des Café-Geländes aufzusuchen. Einige Sekunden später gesellte sich jemand aus der Touristengruppe zu mir, ebenfalls Raucherin und wie es bei Rauchenden so üblich ist, hatte man gleich was zu reden. „Horrible country for smokers“, war das erste was sie sagte. Dem konnte ich natürlich nur zustimmen und es entwickelte sich ein eben ein kleiner Plausch mit einer – wie ich dann im Laufe des Gesprächs erfuhr - serbischen Medizinabsolventin, die in Schweden lebte und mich gewissermaßen für verrückt erklärte, als ich ihr sagte, dass ich kommende Woche eine Exkursion nach Ostserbien anstehen habe. Beste Vorzeichen also? Да, und noch dazu war ich weder des Serbischen, noch des Rumänischen mächtig. Aber gut, Minderheiten, Balkan dies das, klang alles spannend, irgendwie vertraut und dies war ja letzten Endes auch meine Motivation mich für das Seminar einzuschreiben.

    Neben fehlenden Sprachkenntnissen waren Serbien, wie Rumänien für mich vor Reisebeginn terrae incognitae. Zu Rumänien und damit auch zu den in Serbien lebenden Vlachen glaubte ich zu Beginn aber eher einen Draht aufbauen zu können. Klingt vielleicht komisch, aber ich habe 6 Jahre Latein und ein Semester Italienisch gelernt und hatte dadurch das Gefühl (oder eher die Erwartung) Rumänisch zumindest einigermaßen verstehen zu können. Die Realität sah dann doch anders aus. Zwar konnte ich Rumänisch, oder linguistisch korrekter Dakorumänisch, gelesen einigermaßen verstehen oder zumindest einige Bruchteile aus dem Lateinischen und/ oder Italienischen ableiten, doch hatte ich bei unseren Feldforschungsinterviews in der Timčka Krajina schon Probleme zwischen Vlachisch und Serbisch zu unterscheiden. Vlachisch hörend verstehen? Fehlanzeige! Lediglich einige Turzismen, die ich gesprochen oder gelesen einfing, konnte ich verstehen und war teilweise doch überrascht wie tiefgehend der Einfluss der Türkischen vor Ort doch war.

    Doch abseits all der Linguistik muss ich hier zum Ausdruck, wie fasziniert ich von der Region als solche war und das schließt Menschen, Landschaft, Essen, Musik, Geschichte – quasi alles ein, was ich in der Exkursionswoche wahrnehmen durfte. Denn in einem Zeitalter der zunehmenden Urbanisierung und Heterogenität der Gesellschaft, werden der ländliche Raum und insbesondere so periphere Gegenden, wie eben unser Exkursionsgebiet, oft totgesagt. Ländlicher Raum – zumindest hierzulande – wird doch oft mit Eintönigkeit und Konservatismus gleichgesetzt. Auch wenn ich über letzteres keine Aussage treffen kann und auch wenn mir der Balkan durch meine eigene Herkunft doch nicht so fremd ist, ist man doch immer wieder erstaunt, was für eine ethnische Vielfalt sich einem punktuell und trotz aller nationalstaatlicher Homogenisierungspolitik noch bietet und dies eben auch in teils sehr ländlichen Räumen und dass trotz nach wie vor anhaltender Probleme im Grunde doch noch eine relativ harmonische interethnische Koexistenz besteht.

    Summa Summarum will ich festhalten, dass ich trotz aller sprachlichen Hindernisse, u.a. durch die Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen vor Ort, seien es Vlachen, Roma oder Serben, aber auch durch unsere wunderbare Exkursionsgruppe nicht wirklich das Gefühl hatte, in einer für mich fremden Umgebung zu sein. Vielleicht gibt es ihn ja doch, diesen Balkan-Spirit - und ich rede nicht von dem lokalen Pflaumenschnaps Sliwowitz (serb. Šlivovica)!

     

    [1]Externer Link Die im Kosovo lebende türkische Minderheit ist aus der Bevölkerungserhebung ausgenommen.

  • Ada Kaleh. Die verschwundene Insel

    …und so führte uns unsere Reise auch nach Orșova in Rumänien. Dort, am Ufer der Donau schauten wir auf den Fluss, wo sich einst eine Insel namens Ada Kaleh (türk.:„befestigte Insel“) aus dem Wasser erhob. Erstmals erwähnt wurde sie schon in der Antike. In verschiedenen Urkunden tauchte sie unter der Bezeichnung „Caroline“, „Porizza“ oder „Ada-I-Kebir“ auf. Diese Insel lag am Eisernen Tor an der Grenze zwischen Rumänien und Serbien und bildete bis 1912 eine Exklave des Osmanischen Reiches.

    Mit dem Bau des Djerdap-Stausees und des Kraftwerks 1971 fiel die Insel den Fluten der Donau zum Opfer. Die Insel, auf der zuletzt 600 mehrheitlich türkische Bewohner lebten, war etwa 1,7 km lang und 0,5 km breit. Über die Jahrhunderte erlebte die Insel viele Herrscher. Der römische Kaiser Trajan setzte hier mit seinen Legionen über den Fluss, in dem er seine Boote so miteinander verband, dass sie eine Brücke bildeten. In den kommenden Jahrhunderten überquerten u.a. auch Mongolen, Hunnen, Österreicher und Türken an dieser Stelle die Donau. Besonders die Österreicher und die Türken lieferten sich einen fünfhundert Jahre andauernden Kampf um die Kontrolle über die Insel. Die Österreicher errichten auf der Insel in der Donau eine Festung. Ihr Bau begann 1689 und sollte erst 1717 fertiggestellt werden. Am Ufer entstand das Fort Elisabeth, welches ebenfalls als Militärgrenze zwischen dem Habsburger und dem Osmanischen Reich diente. Knapp 20 Jahre später eroberten die Osmanen Ada Kaleh und wandelten das Gebäude der österreichischen Militärkommandantur in eine Moschee um. 1790 besetzten die Österreicher erneut die Insel und bauten die Moschee in ein Franziskanerkloster um. Auf dem Berliner Kongress 1878 verringerte sich die Fläche des Osmanischen Reiches beträchtlich und nur Ada Kaleh blieb dem Sultan im südosteuropäischen Raum noch erhalten. Eine muslimische Insel im „christlichen Reich“. Gegen Ende des 19 Jahrhunderts verlor die Insel ihre Bedeutung für die Großmächte. Sie war fortan eine Mischung aus Nationen und Religionen. 1918 entschieden sich die Insulaner für einen Anschluss an Rumänien, wodurch sie ihre Privilegien wie Steuer- und Zollfreiheit und die Nichteinberufung zum Wehrdienst verloren. Doch die Insel hatte nicht nur eine reiche Geschichte. Aufgrund ihres milden Klimas war es möglich zahlreiche südländische Pflanzen und Früchte wie Oliven, Tabak oder auch Feigen anzubauen. Die Zigarrenfabrik der Insel stellte beispielsweise Zigarren her, die, so sagt man, mit kubanischen konkurrieren konnten. Die selbst hergestellte Rosenmarmelade oder der Lokum lockten jedes Jahr zehntausende Touristen auf das kleine Eiland in der Donau. Besonders für die österreich-ungarische Bevölkerung wurde die Insel vor dem ersten Weltkrieg ein bequemes Ziel „im Orient“, denn sie mussten nun keine beschwerlichen Reisen mehr bis Konstantinopel vornehmen, sondern besuchten einfach die kleine Insel in der Donau um einen Hauch Osmanisches Reich zu erleben. Auch nach dem zweiten Weltkrieg erlebte Ada Kaleh noch einmal eine Blütezeit. Jedoch war der Goldenen Zeit der Insel mit der Bekanntmachung 1963 über den Bau des Staudamms ein Ende verkündet worden.

    Der ursprüngliche Plan sah vor die Bevölkerung und die größten Teile der Gebäude samt der kompletten Festung auf die Insel Simian, die 18 km stromabwärts liegt, umzusiedeln. Doch nur die Teile der Festung finden sich dort heute wieder. Die meisten Insulaner gingen nicht mit. Dies lag zum einen möglicherweise daran, dass ihnen freigestellt wurde, ob sie nach Rumänien (Dobrudscha), in die Türkei oder nach Jugoslawien ziehen. Zum anderen konnten sich viele sicher nicht vorstellen, dass Simian Ada Kaleh ersetzen könnte. Mit der teilweisen Umsiedlung der Festung wurde auch der alte Friedhof Ada Kalehs auf Simian umgebettet. Jedoch konnten die Insulaner über viele Jahre ihre Verstorbenen auf dem neuen Friedhof auf Simian nicht besuchen, denn die Donau war bis 1989 eine Grenze zwischen dem Westen und dem kommunistischen Osten. Die vielen Jahre, die vergingen bis die ersten Besucher die umgesiedelte Festung samt Friedhof besuchen konnten, brachten überwucherte Gräber und Einschusslöcher in den Grabsteinen zum Vorschein.

    Die Flutung der Insel bedeutete für die meisten Bewohner mehr als den Verlust ihrer Heimat. Für viele ist es eine Art Phantomschmerz, der für die wenigen noch Lebenden bis heute anhält.  Ein ehemaliger Bewohner der Insel berichtete wie am Tag der Sprengung die Zypressen und Häuser fielen und wie mit der ansteigenden Flut tausende Vogelnester aus den Baumkronen gespült wurden und auf der Donau hinab trieben. Die Trauer der Vertriebenen um ihre verlorene Heimat hält an. So berichtet Cafer Islamoglu: "Alle anderen Menschen in dieser Welt haben eine Heimat. Auch wenn sie weit weg sind, können sie ihre Heimat besuchen, wann immer sie wollen. Wir haben diese Chance nicht."[1]Externer Link Weitere ehemaliger Bewohner berichten: „Die Insel hatte einen besonderen Geruch, er war an jeder Seite anders. Vom Fluss kam der fast Meer ähnliche Geruch des Wassers, um die Häuser herum verbreitete sich der Geruch der Früchte oder der Marmelade, die zubereitet wurde. Ging man auf den Basar, traf einen der Geruch des Tabaks. Im Frühjahr ergrünte die ganze Insel, und am Abend, sobald die Dämmerung fiel, begann ein richtiges Orchester quakender Fröschen. Alle haben eine Heimat, jeder kann seinen Herkunftsort besuchen, jeder kann irgendwohin zurück. Ich kann den Ort, an dem ich aufgewachsen bin, nicht meinem Mann und meinen Kindern zeigen", erzählt eine Frau. Ein anderer trauert: "Für die Kinder war es besonders paradiesisch. Dort haben wir gelernt, mit anderen zu teilen. Die Feiertage waren besonders, in der Türkei haben wir eine solche Atmosphäre, solche Feiern nicht erlebt. Wir hatten einen Strand, aber wir konnten nicht weit vom Ufer fortschwimmen, wegen der Wirbel und Strudel. Die Leute lebten lang, sie aßen das, was sie selbst angebaut hatten, an der frischen Luft, es gab keine Automobile, keinen Stress. Ich danke Gott, dass ich meine Kindheit und Jugend in dieser paradiesischen Ecke der Welt erlebt habe. Wenn es irgendwo einen solchen Ort gäbe, ich würde alles aufgeben und dort leben." Und noch ein anderer: "Ich habe die vier Ecken des Hauses geküsst, die Tür offen gelassen und bin mit Tränen in den Augen gegangen. Nachdem sie endgültig überschwemmt war, konnten die Leute noch lange Zeit Vögel sehen wie sie über der Donau flogen, dort, wo einmal die Ada Kaleh gewesen war."[2]Externer Link

    [1]Externer Link http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wissen/geschichte/545006_Die-vergessene-Insel-des-Islam.html?em_cnt_pageExterner Link 

    [2]Externer Link http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/geschichte-im-fluss/158951/ein-versunkenes-paradies?p=1Externer Link.

  • Belgrad und die Balkanologie

    In einem der monumentalen Gebäude der Knez-Mihailo-Straße im Stadtzentrum von Belgrad befindet sich die Serbian Academy of Science and Art. Der letzte Tag der Exkursion führte uns dorthin, da innerhalb seiner Mauern auch das Institute for Balkan Studies seinen Sitz hat. Das Institut wurde bereits 1934 unter dem ursprünglichen Namen Institut des Études balkaniques auf Initiative König Alexanders I Karađorđević gegründet. Es war das Erste seiner Art auf dem Balkan und vereinte die prominentesten Balkanforscher seiner Zeit, vor allem durch die Veröffentlichung des „Revue international des Études balkaniques“. Dennoch wurde es während des Krieges 1941 zwangsweise geschlossen. Unter seinem heutigen Namen nahm das Institut 1969 seine Arbeit wieder auf. Die Bereiche seiner Studien sind u.a. Archäologie, Geschichte, Kultur, Kunst, Literatur, Recht, Ethnografie und Anthropologie. Der gemeinsame Nenner aller Forschungen ist das Interesse an der Balkanregion von der Urgeschichte bis in die Gegenwart. In zahlreichen Publikationen und dem zugangsfreien Journal Balcanica werden die Forschungsergebnisse veröffentlicht. Eine Übersicht der Publikationen, der Zugang zum jährlichen erscheinenden Balcanica und die bisher genannten sowie weitere Informationen über das Institut finden sich auf dessen Homepage (http://www.balkaninstitut.com/eng/Externer Link).

    Nachdem unsere Gruppe willkommen geheißen und an diesem warmen Tag mit Wasser und Kaffee versorgt wurde, stellten sich uns Annemarie Sorescu-Marinkovic und Biljana Sikimic persönlich vor. Beide sind Expertinnen für eines der aktuell sechs laufenden Projekte des Instituts, die einzeln auf der Webseite vorgestellt werden. Jedes der Projekte ist für fünf Jahre angelegt, in denen feste Teams an den jeweiligen Fragestellungen arbeiten. 

    Annemarie Sorescu-Marinkovic und Biljana Sikimic forschen im Projekt „Language, folklore, migrations in the Balkans“, welches vorrangig an Feldforschungsmethoden orientiert ist und somit gut zu unserem Exkursionsschwerpunkt passte. Dessen Vorstellung erfolgte in zwei kurzen Vorträgen, die im Folgenden zusammengefasst werden. Das Projekt geht von dem synchronen Phänomen der Migration und Mobilität auf dem Balkan aus und untersucht dieses unter Gesichtspunkten der Soziolinguistik, der Anthropologischen Linguistik, der Anthropologie der Migration sowie der Folklore. Die Ausgangshypothese besagt, dass diese Vorgehensweise die folgenden Aspekte von Migration hervorheben könne: Bi- und Multikulturalismus; Bi- und Multilingualismus; Grenzkonzepte; Gespräche und Schilderungen über Migration; Separationsrituale; unfreiwillige Migration (Flüchtlinge, Deportation, Rückführung, Exil); Mobilität von Stadt zu Land; Situation von Migranten der zweiten und dritten Generation; die Interaktion von Sprache und Religion; Wandel sozialer Netzwerke; geschlechtsspezifische Aspekte von Migration; die neue Welle der ökonomischen Migranten; und Serbien als eines von vielen Immigrationsländern. Die Feldarbeit in Form von qualitativen Interviews mit Teilnehmenden orientiert sich an deren Erstsprache oder Dialekt. Eine Schwerpunktregion des Projekts ist Ostserbien, die Region in der auch wir feststellen konnten, dass die größte sprachliche Minderheit die Vlachen sind. Die Sprache der Vlachen wird im Projekt als archaischer Dialekt des Rumänischen beschrieben, der unbeeinflusst von den Veränderungen der rumänischen Standardsprache geblieben ist, aber von der serbischen Sprache beeinflusst wurde (insbesondere lexikalisch).

    Grundlegend zu unterscheiden sei zwischen der Situation der Rumänen in der Vojvodina im Norden Serbiens und der Vlachen im Osten. Die Rumänen der Vojvodina hätten seit ihrem Anschluss an Jugoslawien nach dem Ersten Weltkrieg Autarkie eingefordert und Rumänisch zähle heute zu einer der sechs anerkannten Amtssprachen der Vojvodina. Demnach könne Rumänisch innerhalb der Provinz in legislativen und exekutiven Organen genutzt werden und die primäre, sekundäre und teilweise tertiäre Bildung wird in rumänischer Sprache angeboten werden. Im Gegensatz dazu habe der serbische Osten bereits seit der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich zu Serbien gehört.[1]Externer Link Die Unterscheidung von Rumänen und Vlachen per Volkszählung wurde erst 1948 vorgenommen. Danach seien Vlachen in Jugoslawien als ethnische Gruppe anerkannt worden, jedoch habe es keine Zugeständnisse zur Unterstützung ihrer Identität gegeben. Teilweise wurden sie assimiliert und die „Vlachen-Frage“ tabuisiert.

    Annemarie Sorescu-Marinkovic wies darauf hin, dass wir in einem historisch wichtigen Moment gekommen seien. Seit 2012 sei ein System zur Schreibung des Vlachischen entwickelt worden, sodass es 2015 zu dessen Standardisierung gekommen sei. Zudem komme es zur Einführung des Vlachischen in einigen Grundschulen und sie zeigte uns ein Beispiel für ein vlachisches Lehrwerk. Mittlerweile gäbe es auch eine Webseite und eine Zeitung in vlachischer Schrift. Biljana Sikimic widmet sich im zweiten Vortrag den verschiedenen Roma-Gruppen und ihren Ballungszentren in Serbien. Dazu gehören Novi Sad und Bačka in der Vojvodina und das Banat. Anhand ihrer Informationen wurde zusammenfassend die Übersicht 1.1 für Roma-Gruppen in Serbien erstellt.

    [1]Externer Link Die Herkunft der Vlachen wird entweder auf übersiedelnde Gruppen aus dem heutigen Rumänien im 18. und 19. Jahrhundert zurückgeführt oder auf die These, dass bereits zuvor Römer oder romanisierte Thraker südlich der Donau gesiedelt hätten. Sicher ist, dass die Region langfristig von Kriegen und Wiederbevölkerung geprägt ist.

  • Zitierte und weiterführende Literatur

    Literaturverzeichnis

    Bratić, Monika 2012: “Wir sind keine Rumänen”, in: dasbiber.at, vom 01.03. 2012.Externer Link

    Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) 2006: Sinti und Roma als Feindbilder.Externer Link

    Fings, Karola 2016: Sinti & Roma - Geschichte einer Minderheit, Verlag C.H. Beck.

    Gronenborn, Detlef 2014: Lepenski Vir und das Spätmesolithikum am Eisernen Tor. In: Archäologie in Deutschland, Sonderheft „Vom Jäger und Sammler zum Bauern. Die neolithische Revolution“.

    Gronenborn, Detlef; Terberger, Thomas 2014: Die ersten Bauern in Mitteleuropa – eine interdisziplinäre Herausforderung. In: Archäologie in Deutschland, Sonderheft „Vom Jäger und Sammler zum Bauern. Die neolithische Revolution“.

    Haarmann, Harald 2010 (a): Die Indoeuropäer. Herkunft, Sprachen, Kulturen. München.

    Haarmann, Harald 2010 (b): Einführung in die Donauschrift. Hamburg.

    Haarmann, Harald 2011: Das Rätsel der Donauzivilisation. Die Entdeckung der ältesten Hochkultur Europas. München.

    Haarmann, Harald 2016: Auf den Spuren der Indoeuropäer. Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen. München.

    Instinsky, Hans Ulrich 1943: Zur Interpretation der Tabula Traiana. In: Wiener Jahreshefte 35, Beiblatt, S. 33–38.

    Institutul National de Statistica. 2012: Comnicat de presă 2 februarie 2012 privind rezultatele provizorii ale Recensământului Populaţiei şi Locuinţelor – 2011.Externer Link 

    Kahl, Thede 2005: Die muslimische Gemeinschaft Rumäniens: Der Weg einer Elite zur marginalisierten Minderheit. In: Europa Regional 13 (2005)/ 3. Hrsg.: Leibniz Institut für Länderkunde, Leipzig.

    Kahl, Thede 2016: Islam in Rumänien. In: Religion & Gesellschaft in Ost und West Nr. 3/ 2016. Hrsg.: Institut G2W, Zürich.

    Leschber, Corinna 2008: Die Rudari in Serbien. Feldforschung zu Sprachgebrauch, Spezifika, Sprachmischung, Archaismen; S.338ff.

    Miloš Jagodić 1998: The Emigration of Muslims from the New Serbian Regions 1877/1878.Externer Link

    O.V.: Rumänien blockiert Serbiens EU-Beitritt, in: handelsblatt.com, vom 28.02.2012.Externer Link

    Organization for Security and Co-operation in Europe. 2008: Ethnic Minorities in Serbia, An Overview.Externer Link

    Peyfuss, Max D. 2014: Vlachen, in: Hösch, E., Nehring, K., Sundhaussen, H. (Hrsg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, S. 730-732. Wien, Köln, Weimar.

    Republiki Zavod za Statisku. 2011: Popis stanovništva, domaćinstava i stanova 2011. u Republici Srbiji.Externer Link

    Schmidinger, Thomas 2013: Die vergessene Insel des Islam.Externer Link

    Sikimić, Biljana 2014: Romanians in Serbian Banat: Dynamic Epistemology, in:  Kamusella, T., Nomachi, M.: The Multilingual Society Vojvodina. Intersecting Borders, Cultures and Identities, S. 51-73. Sapporo.Externer Link

    Sorescu-Marinković, Annemarie 2006: The Vlachs of North-Eastern Serbia: Field Work and Field Methods Today, in: Symposia. Journal for Studies in Ethnology and Anthropology, S.125-140. Craiova.Externer Link

    Sorescu-Marinkovic, Annemarie. 2012: Vorbari Rumân'esk: The Vlach on line Dictionary,  in: Philologica Jassyensia, An VIII, Nr. 1 (15), 2012, S. 47-60.Externer Link

    Srejović, Dragoslav 1973: Lepenski Vir. Eine vorgeschichtliche Geburtsstätte europäischer Kultur. Bergisch Gladbach.

    Strobel, Karl 1984: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans. Studien zur Geschichte des mittleren und unteren Donauraumes in der Hohen Kaiserzeit. Bonn: R. Habelt.

    Sundhaussen, Holm; Clewing, Konrad 2016: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag.

    Tasić, Nikola 2014: Some Reflections on the Migrations of Paleo-Balkan Peoples in Pre-Roman Times. In: Balcanica XLIV.

    Thissen, Laurens 2009: First Ceramic Assemblages in the Danube Catchment, Se Europe – A Synthesis of the Radiocarbon Evidence. In: Buletinul Muzeului Judeƫean Teleorman 1:2009, S. 9-30.

    Turudić, Momir 2013: Ein versunkenes Paradies. 2013: In: Bundeszentrale für politische Bildung.Externer Link

    Vuletić, Aleksandra. 2012: Censuses in 19th century Serbia: inventory of preserved microdata. Hrsg.: Max-Planck-Institut für demografische Forschung.

    Wolf, Josef 2004: Entwicklung der Ethnischen Struktur des Banats. In: Atlas Ost- und Südosteuropa. Hrsg.: Josef Wolf; Peter Jordan; Thede Kahl; Horst Förster; Florian Partl; Österreichisches Ost- und Südosteuropa-Institut, Wien.

    Živaljević, Ivana 2015: Concepts of the body and personhood in the Mesolithic-Neolithic Danube Gorges: interpreting animal remains from human burials. In: Етноантрополошки проблеми 3:2015, S. 675-699.

  • Bild von der Exkursion
    Foto: Thede Kahl
  • Bild von der Exkursion
    Foto: Thede Kahl
  • Ausblick von der Festung Tsarevets
    Foto: Thede Kahl
  • Christian referiert über die Geschichte des Dorfes Arbanasi
    Foto: Thede Kahl
  • Fragment an der Außenwand der Klosterkirche des Preobrazhenski-Klosters
    Foto: Thede Kahl
  • Erinnerungsphoto aus dem Ethnographischen Museum
    Foto: Thede Kahl
  • Vor dem Museum für National Geschichte in Sofia
    Foto: Thede Kahl
  • Studierende modellieren Tonfiguren in der Steinzeitwerkstatt des Historischen Museums von Lovec
    Foto: Thede Kahl
  • Devetashka-Höhle
    Foto: Thede Kahl
  • Zheljana bastelt eine Flöte im Ethnographischen Freilichtmuseum Etara
    Foto: Thede Kahl
  • Lachen vor der Zerrspiegeln im Museum des Humors und der Satire in Gabrovo
    Foto: Tanya Dimitrova
  • Zu Gast am Institut für Germanistik an der Kyrill-und-Method-Universität in Veliko Tarnovo
    Foto: Tanya Dimitrova
  • Den "richtigen" Löffelschnitzer Ivan trafen wir nicht mehr an (früheres Photo unseres Professors)
    Foto: Thede Kahl
  • Bulgarische Berühmtheit
    Foto: Thede Kahl