Teaser

Chile 50

50 Jahre Militärputsch – Erinnerung, Menschenrechte und das Erbe der Diktatur. Chile 1973 - 2023
Teaser
Foto: CLACSO

Forschungsschwerpunkte

Erinnerung und kollektives Gedächtnis

Verschiedenen Theoretiker:innen zufolge konstruiert sich Erinnerung im Laufe der Zeit; es ist die Übung, auf die Vergangenheit zurückzublicken, um Ereignisse und Probleme zu erklären und der von einer Gemeinschaft geteilten Gegenwart einen Sinn zu geben. Durch das Erinnern entsteht ein kollektives Gedächtnis. Dabei handelt es sich um eine besondere Form und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtete Form des Erinnerns, die die offizielle Historiografie in Frage stellt. In einigen Fällen ist der Akt des Erinnerns eine natürliche Übung, in anderen ein Kampf und eine Praxis des Widerstands; die Quellen sind vielfältig und reichen von der (offiziellen) Geschichtsschreibung bis hin zu mündlichen Berichten, Erzählungen und den verschiedenen künstlerischen und kulturellen Manifestationen, die aus sozialen Bewegungen, Kollektiven und Gemeinschaften hervorgehen.

Die offiziellen Erzählungen über den Staatsstreich koexistieren mit anderen Versionen der historischen Ereignisse, mit den Geschichten aus kollektiven Erinnerungen, lokalen Geschichten und Familiengeschichten. Sie alle sind Teil einer phantasmagorischen Wahrheit, die jedes Jahr im September in der nationalen Debatte auftaucht und von Diskrepanzen, Diskussionen und Spaltung geprägt ist, obwohl einige gesellschaftliche Gruppen bereits gewisse Übereinstimmungen gefunden oder einige Versionen der Ereignisse, die zum Staatsstreich geführt haben, anerkannt haben. Es ist wichtig, die zentrale Rolle hervorzuheben, die die Erinnerung und das kollektive Gedächtnis für den Aufbau einer demokratischen, respektvollen Debatte und für das Verständnis der heutigen Gesellschaft spielt.

Menschenrechte

Die Militärdiktatur verübte Gewalttaten und Verbrechen gegen Bürger:innen, die bis heute vom Staat Aufklärung und Wiedergutmachung verlangen. Der Aufholbedarf in Bezug auf das kollektive Gedächtnis, der Suche nach Gerechtigkeit und Kompensationen ist enorm; ebenso wie die Kritik an der Unfähigkeit der demokratischen Regierungen nach dem Putsch, die Täter systematischer Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen. Gleichermaßen werden die für die Vermittlung von Gerechtigkeit zuständigen Institutionen kritisiert, die es bis heute nicht schaffen, den "Pakt des Schweigens" zu überwinden, der es noch immer nicht erlaubt zu erfahren, was mit den Leichen von Hunderten von Menschen geschehen ist, die von ihren Angehörigen gesucht werden.

In diesem Zusammenhang wird es wichtig sein, Untersuchungen in die Diskussion einzubringen, die zeigen, welche Fortschritte der chilenische Staat im Bereich der Menschenrechte gemacht hat, aber auch Rechenschaft über die noch zu leistende Arbeit abzulegen. Andererseits wird es auch wichtig sein, Forscher:innen aus dem Bereich der Rechtswissenschaften einzubeziehen, die eine Bestandsaufnahme der Rechtsprechung und der Fortschritte bei der Aufarbeitung und Entschädigung für die Opfer vornehmen können.

Institutionelles/wirtschaftliches Erbe

In den 1980er Jahren entwarf und etablierte die Militärdiktatur die politische Verfassung von 1980, die trotz einiger Reformen das Land bis heute regiert. Diese antidemokratische Verfassung bildete die Grundlage für das heutige politische, soziale und wirtschaftliche System des Landes. Die liberale Marktwirtschaft, die den Kern des Verfassungstextes bildet, weist trotz der Einbeziehung einiger solidarischer Säulen große Defizite auf, was den Schutz der Gesellschaft, die Entwicklung eines sozialen Rechtsstaates und die Schaffung sozialer Maßnahmen zugunsten der am stärksten Benachteiligten betrifft. In diesem Sinne zeigen die Statistiken in Chile, dass Ungleichheit ein strukturelles Phänomen ist.

Demnach ist eine der Hauptdiagnosen, die sich aus der im Oktober 2019 ausgebrochenen Demonstrationswelle ergeben haben, dass das System der Organisation von Rechten, Politik und Wirtschaft –das zu einem hohen Maß an sozialer Ungleichheit geführt hat, die in allen Lebensbereichen der Menschen zum Ausdruck kommt–, durch einen neuen institutionellen Rahmen ersetzt werden muss, der die Rechte und Möglichkeiten der Bürger:innen für eine nachhaltige Entwicklung stärkt oder Alternativen zum jetzigen Konzept der Entwicklung vorschlägt, aber auch Chancengleichheit schafft, die alle in Chile lebenden Personen und Gruppen und ihre Besonderheiten anerkennt (Identitätspolitik). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Forschungsarbeiten zu kennen, die aus so unterschiedlichen Disziplinen wie den Human-, Sozial- und Naturwissenschaften stammen und einen Wechsel des Entwicklungsparadigmas oder Alternativen zur jetzigen Form der Entwicklung vorschlagen.

Die Diskussion soll sich auf diese drei Achsen stützen, von denen wir hoffen, dass sie fruchtbar sein werden und verschiedene Forscher:innen während der Konferenzen und Vorträge inspirieren können.

Projektorganisationsausschuss

Friedrich-Schiller-Universität
Logo_Uni Jena_Phil Fak_Institut für Romanistik
ARCOSUR
Institut Soziologie
Iberoamerica e.V.
CALAS
BMBF
Ernst-Abbe-Stiftung