Reformation

Männlichkeit – Religiosität – Kirchenbezug

Untersuchung der Wechselwirkungen von Religiosität und Männlichkeitskonstrukten aus historischer und religionssoziologischer Perspektive
Reformation
Foto: Luther auf dem Reichstag zu Worms (1521)
  • Projektbeschreibung

    Das Projekt untersucht die Wechselwirkung von Religiosität und Männlichkeitskonstrukten aus historischer und religionssoziologischer Perspektive. Gefragt wird nach den Konsequenzen für den gegenwärtigen Kirchenbezug von Personen mit männlicher Geschlechtsidentität.

    Den historischen Teil bearbeiten Prof. Dr. Gisela Mettele und Dr. Andreas Neumann. Sie liefern einen kulturgeschichtlichen Überblick zum Verhältnis von Religion und Geschlecht ausgehend von der Reformation mit dem Schwerpunkt auf protestantische Männlichkeit(en) im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Sie knüpfen an eine im September 2011 vom Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte veranstaltete internationale und konfessionsübergreifende Tagung zum Thema“ "Religion und Männlichkeit in der Moderne“ an und fragen nach den seither gewonnenen Forschungserkenntnissen. 

    Zum TagungsberichtExterner Link 

    Prof. Dr. Gert Pickel und Yvonne Jaeckel bearbeiten den religionssoziologischen Teil, der auf einer quantitativen Erhebung beruht. Ziel des Projekts ist eine Publikation, die sich an eine breite Zielgruppe von Personen aus der Wissenschaft bis hin zu Mitarbeitenden der EKD richtet und in geschlechtsbezogenen Fragen insbesondere im Hinblick auf die Kirchlichkeit von Männern Orientierungswissen bereitstellen soll. Die Projektverantwortung und -koordination tragen die Theologin Ruth Heß – theologische Studienleiterin im Studienzentrum für Genderfragen der EKD, sowie der Theologe und Historiker Martin Rosowski – Geschäftsführer der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland.

  • Weiterführende Informationen zum historischen Teil des Projekts

    Sowohl in der Geschichts- als auch in der Sozialwissenschaft überblendete das Masternarrativ der Säkularisierung lange Zeit die komplexe Beziehung zwischen Religion und Geschlecht. Religion stand aufseiten traditioneller Beharrungskräfte. Als moderne Dynamisierungsfaktoren galten hingegen Rationalisierung und funktionale Differenzierung. Das Säkularisierungsnarrativ spiegelt nicht nur das gesellschaftspolitische Selbstverständnis des Bürgertums, es entspricht auch der bürgerlichen Geschlechterordnung, die Frauen als emotional und Männer als rational klassifizierte: Während Männer im 19. Jahrhundert aus den Kirchen in die politische Öffentlichkeit hinausgezogen seien und dort für neue säkulare Utopien des Fortschritts eintraten, hätten Frauen sich verstärkt religiösen Frömmigkeitsformen verschrieben. Demzufolge verlagerte sich Religiosität in die vermeintlich durch Frauen geprägte Häuslichkeit, während die Welt außerhalb des Hauses „entzaubert“ zurückblieb.

    Die Religions- und Geschlechtergeschichte hat dieses einseitige Bild korrigiert: Ausgehend von der These einer Feminisierung von Religion zeigte sich zunächst, dass die religiöse Praxis von Frauen nicht bloß eine passive Ressource der Kirchen darstellte, um eine traditionelle Ordnung zu stabilisieren. Vielmehr entstanden für Frauen auf den Gebieten der christlichen Karitas neue Handlungsfelder. Kirchen und Gemeinden erschienen nun nicht länger als ein Raum, in dem Pfarrer und Priester ihren gesellschaftlichen Einfluss über die Indoktrination von Frauen geltend machten. Da Frauen vielfach von den männlich dominierten Assoziationen ausgeschlossen blieben, fanden sie hier einen für sie zugänglichen Kommunikationsort. Doch nicht nur die Feminisierungsthese erfuhr eine Differenzierung. Auch die komplementär zur Feminisierung postulierte „Entkirchlichung“ der Männer ließ sich bei genauer Betrachtung kaum aufrechterhalten. Zwar besuchten Frauen tatsächlich den Gottesdienst häufiger als Männer, nur ließ sich eine stetige Zunahme dieses Ungleichheitsverhältnisses nicht belegen. Mit Blick auf den Kulturkampf im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zeigte sich schließlich, wie Religion und Geschlecht zu Ressourcen politischer Auseinandersetzung unter Männern wurden: Der Protestantismus ging dabei ein Bündnis mit dem neuen entstanden Nationalstaat ein; die männlich-protestantische Identität umfasste sowohl Nation als auch Religion. Schließlich etablierte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein evangelischer Männerdienst, der eine Re-Maskulinisierung männlicher Religionspraxis intendierte.

    Diese Befunde zeigen, dass Geschlechterverhältnisse in einer wechselseitigen Verbindung mit Religion stehen: Oftmals bilden sie den Handlungsrahmen religiöser Akteurinnen und Akteure; gleichzeitig stabilisieren Religionen wiederum die in der Gesellschaft vorherrschende Geschlechterordnung.

    Im historischen Teil des Projekts soll auf der Grundlage einer Auswertung bisheriger Forschungen zum Thema ein Überblick geliefert werden, in dem deutlich wird, wie sich das Verhältnis zwischen Religion, Geschlecht und Männlichkeiten im Zuge des sozialen Wandelns veränderte. Dabei fragt sich auch, welche Diskurse, Strategien sowie Akteurinnen und Akteure für diese Dynamik sorgten.